OBEN IN DEN WÄLDERN – Daniel Mason

Werbung, danke an C.H. Beck für das Rezensionsexemplar.

Der Wald – schon immer war er von zentraler Bedeutung in der Literatur, voller Symbolkraft und Mystik. Mason setzt mit seinem Werk den North Woods, den nördlichen Wäldern Massachusetts, ein literarisches Denkmal, dessen Üppigkeit an Sprachstilen, Genre und Figuren in meinen Augen der immensen Vielfalt des Waldes gleichkommt. Ein Meisterwerk, das zu meinen Jahreshighlights zählt.
Es beginnt mit der Flucht eines Paares aus einer puritanischen Kolonie, die in den North Woods endet, wo sie sich am siebten Tag niederlassen.

»Alles war so licht und rein … Am Bach fand er einen breiten, flachen Stein, brach ihn aus der Erde und trug ihn zurück zur Lichtung, wo er ihn behutsam auf den Boden legte. Hier.« S.15

Der Wald wird über 4 Jahrhunderte stummer Zeuge einer Vielzahl von Menschen, die sich an dessen Rand in einem kleinen gelben Haus niederlassen und eine Heimat in dieser verlassenen Gegend finden. Das Haus selbst ist es, das diese Geschichten bewahrt, die geprägt sind von Pioniergeist und Beharrlichkeit, aber auch Eifersucht, unglücklicher Liebe, Krankheit und Mord.
Eine von den Ureinwohnern Amerikas verschleppte Frau; ein englischer Soldat, der Apfelbauer werden will, in den Augen der Anderen aber von seiner »Pomomanie« geheilt werden muss; dessen Zwillingstöchtern, die zwar äußerlich gleich, aber charakterlich kaum verschiedener sein könnten; ein Sklavenjäger; eine Scharlatanin, die eine Séance abhält; ein Schizophrener, der von Waldspaziergängen besessen ist und seiner Schwester geheimnisvolle Super-8-Filme vererbt; ein True-Crime-Reporter, der einen Jahrhunderte zurückliegenden Massenmord aufklären will. Und ein liebestoller Käfer, der seiner Angebeteten in die kunstvollen Gänge ihrer Fresspuren folgt. Zu all den Zeitzeugen des Werdens und Vergehens gesellen sich noch viele klein und große Waldbewohner, eingeschleppte Sporen, Käfer, Berglöwen und unzählige Baumarten.

Mason gelingt es, die 12 kaleidoskopartigen Geschichten geschickt miteinander zu verweben. Mason passt seinen Schreibstil der jeweiligen Epoche an, wechselt zwischen den Perspektiven und Formen, reiht zwischen den Erzählungen Briefe, Gedichte und Zeitungsberichte aneinander und beweist damit größtes handwerkliches und schriftstellerisches Können, das mir bisher nur selten begegnet ist. Und dann sind da noch die kleinen »Oh«-Momente, die mir ein Schmunzeln entlocken. Während einzelne Protagonisten vor Rätseln stehen, bin ich als Leserin ihnen immer einen Schritt voraus, weiß von den losen Enden anderer Geschichten und bewundere Masons schriftstellerischen Kniffe, diese zu Ende zu führen.

Würde ich es beschreiben wollen, wäre es so ähnlich, wie einen dichten Wald zu betreten – wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, entdeckt man zuerst Umrisse, dann Einzelheiten, Geräusche, Gerüche. Und so wird auch dieses Buch zu einer Sinfonie an True Crime, Schauergeschichte, Nature Writing und verbindet sich letztlich zur Historie eines Landes. Es ist eine Geschichte des ständigen Wandels, unserer Beziehung zur Natur, unserem Zutun an deren Zerstörung. Was bleibt von uns übrig, was ist wirklich von Bedeutung?

Am Ende bin ich mir sicher, das nicht nur wir den Wald beobachten, sondern er uns – mit der gleichgültigen Gewissheit, dass er schon lange vor uns da war und es auch nach uns sein wird.

Klappentext

Wer hat hier, wo ich wohne, schon einmal ein Leben geführt – und wer wird diesen Ort nach mir sein Zuhause nennen? Daniel Mason erzählt in seinem neuen Roman die bewegte Geschichte eines Hauses in den Wäldern von Massachusetts. Und mit ihr von den Schicksalen, Geheimnissen und Abgründen der Menschen, die das Haus über die Jahre bewohnen.

Von einem Soldaten, der nach einer Verwundung nicht auf die Schlachtfelder zurückkehrt, sondern beschließt, sich in der Abgeschiedenheit dem Apfelanbau zu widmen. Von seinen Töchtern, Zwillingen, deren symbiotisches Leben mit dem Erwachsenwerden zunehmend Risse bekommt – und jäh in einer Tragödie endet. Von einem Reporter, der auf ein uraltes Massengrab stößt, und einem liebeskranken Maler, der einem geheimen und riskanten Verlangen nachgeht. Während sich die Bewohner des kleinen gelben Hauses mit der Schönheit und den Wundern ihrer Umgebung auseinandersetzen, beginnen sie zu erkennen, wie lebendig die Vergangenheit dieses Ortes ist. »Oben in den Wäldern« erzählt vom Wandel der Zeit, der Sprache, der Natur, und zeigt, wie stark wir durch sie auch über Jahrhunderte miteinander verbunden bleiben. Ein so sprachmächtiger wie spannender Roman, der eine zeitlose Frage stellt, die uns alle beschäftigt: Wie leben wir weiter, auch wenn wir nicht mehr da sind?

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-406-81381-8
Verlag: C.H. Beck
Erscheinungsjahr: 15. Februar 2024
Übersetzung: Cornelius Hartz
Seiten: 429 mit zahlreichen Abbildungen, Hardcover

Über den Autor

Daniel Mason wuchs in Kalifornien auf. Er studierte Biologie an der Harvard University und Medizin an der University of California in San Francisco. Seinen Debütroman, »Der Klavierstimmer Ihrer Majestät«, schrieb er noch während des Medizinstudiums. 2020 wurde er für seinen Roman »Der Wintersoldat« mit dem mit 50.000 US-Dollar dotierten Joyce Carol Oates Literary Prize ausgezeichnet.[
Mason ist als Psychiater am Stanford Hospital tätig und lehrt Literatur an der Stanford University.

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Über ein.lesewesen 314 Artikel
Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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