Werbung, ich bedanke mich beim Luchterhand Verlag für das Rezensionsexemplar.
»Sehen Sie, wir können jedem vergeben. Unseren Eltern, unseren Kindern, unseren Freunden und selbst unseren Feinden. Nur uns selbst können wir nicht vergeben, das ist nicht möglich. Niemand kann sich selbst seine Schuld erlassen, das kann nur der Gläubiger tun. Ihre eigene Schuld verjährt nicht. Damit müssen Sie leben. Oder auch nicht.« S.19
Wir begegnen einem namenlosen Mann an der Bar, der vor dem Regen geflüchtet ist. Als Schöffe hat er gerade seinen ersten Verhandlungstag hinter sich gebracht. Doch das Verbrechen ist nur der Auslöser für einen gedankenschweren Monolog, in dem er über Schuld und Vergebung sinniert, über den Menschen an sich. Eigentlich ist er Schriftsteller, zumindest hat er ein Buch geschrieben, für die Liebe seines Lebens. Doch alles lief anders als gedacht.
»Seit 17 Jahren bin ich ein durch und durch lächerlicher Schriftsteller, der nicht mehr schreibt. Ich gehe trotzdem jeden Morgen rüber ins Schreibzimmer. Die Menschen wollen ja immer etwas sein, was sie nicht sind. Ich sitze dann am Schreibtisch und trinke Kaffee und rauche und schreibe nichts. Als das bei Hemingway so war, ging er nicht mehr in eine Bar. Er schoss sich den Kopf weg. Das kann ich verstehen, weil der Kopf ja sowieso schon weg ist.« S.28
Unser namenloser Protagonist hadert mit seinem hoffnungslosen Leben, mit seinem Scheitern, mit Verlust und Einsamkeit. Er reflektiert über Gutes und Schlechtes in unserer modernen Gesellschaft.
Nun ist die Kurzgeschichte in Form eines Theatermonologs noch kein Buch, also bekommen wir noch ein Interview mit dem Autor, das zwar bereits in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, ich aber noch nicht kannte. Hier spricht von Schirach sehr offen über sein Leben als Schriftsteller, seine Depression und seinen Umgang damit.
Die Themen aus dem Interview verbinden sich mit denen in der Geschichte und bilden für mich eine Einheit. Ich fand es sehr interessant, mehr über den Menschen hinter den Büchern zu erfahren.
»Ich schreibe jeden Absatz 30-, 40-, 50-mal um. Es geht darum, dass am Ende der einfachste Satz übrig bleibt. Nur das, was man einfach sagen kann, ist wahr. Es geht um das einfachste, klarste Wort, das Sie finden können.« S.63
Genau das macht von Schirach für mich aus, die glasklare Reduktion, ein Text in seiner ganzen Schlichtheit, der Raum lässt für eigene Gedanken und Reflexionen.
Das Büchlein – sei es auch noch so dünn – hat einige Gedankenanstöße in mir ausgelöst und ich werde es sicher noch ein zweites Mal lesen.
Man darf gespannt sein, wenn von Schirach ab Oktober damit durch Deutschlands Theater tourt und seinen eigenen Protagonisten in persona auf der Bühne verkörpert.
Meine Bewertung bezieht sich allein auf den Inhalt, nicht den Umfang des Buchs. Da es ein eigenständiges Theaterstück ist, lässt es sich sicher nicht in mit anderen Kurzgeschichten kombinieren und hat daher eine Daseinsberechtigung als eigenständiges Werk. Ob man bereit ist, dafür das Geld auszugeben, muss jeder selbst entscheiden, denn 20 Euro sind viel Geld. Mir ist es das auf jeden Fall wert.
Klappentext
Eine ebenso mutige wie sehr persönliche Erzählung, ein literarisches Spiel an der Grenze zwischen Bühnenfigur und Autor.
Ferdinand von Schirachs neues Buch »Regen« ist eine Erzählung in Form eines Theatermonologs, den Ferdinand von Schirach ab Herbst 2023 im Rahmen einer großen Premierentournee auf zahlreichen deutschen Bühnen selbst sprechen und aufführen wird: Ein Mann kommt durchnässt aus dem Regen in eine Bar – auf die Bühne – und denkt über Verbrechen und Strafen nach, über das Großartige und das Schreckliche unserer Zeit, über die Würde des Menschen, die Einsamkeit, die Liebe, den Verlust und das Scheitern.
Bibliografische Angaben
ISBN: 978-3-630-87738-9
Verlag: Luchterhand Verlag
Erscheinungsjahr: 2023
Seiten: 108, Hardcover
Über den Autor
Der Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach wurde 1964 in München geboren. Seit 1994 arbeitet er in Berlin als Anwalt und Strafverteidiger. Zu seinen Mandanten gehörten das frühere Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, der ehemalige BND-Spion Norbert Juretzko, Industrielle, Prominente und Angehörige der Unterwelt. 2009 publizierte er seinen Debütband »Verbrechen«, in dem er seine skurrilsten und unglaublichsten Fälle niederschrieb und welcher bereits verfilmt wurde. Seine Bücher wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern. Sie erschienen bisher in 40 Ländern.
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