Die unverhoffte Genesung der Schildkröte von Marc Bensch

Rezension Roman "Die unverhoffte Genesung der Schildkröte" von Marc Bensch. Literaturkritik vom Franzosenleser

Ich hatte dieses Buch auf der LBM am Stand vom Carpathia-Verlag gesehen, kurz reingelesen, bin dann aber doch, nach einem Gespräch am Stand, auf »Alles Arschlöcher überall« von Jan Bratenstein umgeschwenkt. Zum Glück war dieses Buch damit für mich nicht aus der Welt, da @ein.lesewesen es gelesen hat und es nun zu mir gewandert ist.

Der Journalist Paul Graham nimmt´s nicht so genau mit der Wahrheit, für einen guten Aufmacher bedient er sich auch gerne seiner blühenden Fantasie. Doch sein neuester Artikel ist anders – er liegt näher an der Realität, als er es ahnt. Das wirbelt die Leben einiger anderer Charaktere im Buch ganz schön durcheinander, was denen so gar nicht gefällt. Die Figuren sind keineswegs eindimensional, sondern überraschend komplex und klug, sodass sie anfangen, das perfide Spiel des Erzählers zu durchschauen und sich gegen seine Manipulation wehren.

Dann geschieht das Unglaubliche, der Erzähler spricht mich, den Leser; direkt an, bezieht mich in die Handlung ein und schreibt mir so eine einzigartige Rolle zu. Schon zu Beginn des Buches erklärt er mir, dass ich ein essenzieller Teil der Geschichte sei und nur ich die Katastrophe abwenden könne. Diese Einbindung ist faszinierend umgesetzt und hat mich nicht mehr losgelassen. Ich fühlte mich förmlich verpflichtet, mich auf die Seite des Erzählers zu schlagen, um das gewünschte Ende der Geschichte zu ermöglichen. Dadurch entsteht eine außergewöhnliche Bindung zwischen Leser*in und Erzählstimme. Doch irgendwann wurde der Erzähler zu penetrant in seiner Forderung nach Beistand, meine Stimmung kippte. Meine Sympathie galt den bis dato durchweg unsympathischen Charakteren.

Der Erzählstil ist locker, witzig und treffend. Der Roman steckt voll frischem und gleichzeitig intelligentem schwarzem Humor. Die Charaktere, egal ob es der Schmierfink Paul Graham ist, oder der involvierte Schnüffler und der Lächler, dem so gar nicht zum Lachen ist, wirken fast wie Karikaturen. Doch Bensch behält stets die Glaubwürdigkeit seiner Figuren bei, indem er sie zu authentischen, vielschichtigen Persönlichkeiten entwickelt.
Dieses Buch kann man nicht in wenigen Worten zusammenfassen – es muss einfach gelesen werden, um die Faszination und den Sog der Geschichte selbst zu erleben. Marc Bensch hat mit »Die unverhoffte Genesung der Schildkröte« einen außergewöhnlichen Roman geschaffen, der mich als Leser auf eine fesselnde Reise mitnimmt. Die Verknüpfung von Spannung und einer gehörigen Portion Humor machen dieses Werk zu einem wahren Lesevergnügen.
Die Frage, was eine genesene Schildkröte damit zu tun hat, lasse ich vorerst im Dunkeln – doch wer das Buch liest, dem wird die überraschende Antwort offenbart.

Klappentext

Der Journalist Paul Gram hat ein ambivalentes Verhältnis zum Begriff der Wahrheit. Seine jüngste Story über Mauscheleien zwischen lokaler Wirtschaft und Stadtverwaltung ist komplett erfunden – und doch wahr. So wahr jedenfalls, dass sie das Leben eines kriminellen Unternehmensbosses, eines frustrierten Detektivs, eines rachsüchtigen Schwindlers und eines Buchhalters mit gesichtslähmungsbedingtem Dauerlächeln komplett aus den Fugen bringt. Es entspinnt sich ein rasantes und intrigenreiches Verwirrspiel – bis einer der Protagonisten erkennt, dass sie alle nur Teil einer Geschichte sind. Die Figuren gehen auf die Barrikaden, und der Erzähler ruft in seiner Not den Leser zur Hilfe.

Ein ungewöhnlicher und intelligenter Roman über Schein und Sein, über Selbstbestimmung und Fremdsteuerung und über den Kampf des Erzählers mit seinen Geschöpfen.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-943709-70-4
Verlag: Carpathia Buchverlag
Erscheinungsjahr: 2019
Seiten: 298, Hardcover

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"Es gibt nur einen Weg, um Kritik zu vermeiden: Nichts tun, nichts sagen, nichts sein" Aristoteles

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