DAS FRAGILE GLÜCK DER HARMONIE – Luo Lingyuang

Werbung, vielen Dank an den Secession Verlag für das Rezensionsexemplar.

Das Ende der 80er Jahre in China ist geprägt von Reformen. Für Lu Tanya ist es die Chance, ihrem ärmlichen Leben zu entfliehen und Journalistik in Shanghai zu studieren. Dort verliebt sie sich in den deutschen Austauschstudenten Norman. Doch solche Beziehungen werden von der Partei nicht gern gesehen. Obwohl sie jederzeit denunziert werden könnte, kämpft sie um ihre Liebe. Doch die Angst ist ihr stetiger Begleiter.
Im zweiten Teil folgen wir den beiden nach Berlin. Tanyas Neuanfang gestaltet sich schwierig, denn sie versteht kein Wort in dem ihr so fremden Land und hält sich mit schlechtbezahlten Jobs über Wasser.

Lingyuang siedelt ihre bittersüße Liebesgeschichte in einer politisch brisanten Zeit an. In einem Land, das mir fremd ist, auf das aber 1989 die ganze Welt blickte, als auf dem Tian’anmen-Platz, dem Platz des himmlischen Friedens, die friedlichen Proteste vom Militär niedergeschlagen wurden. Die Autorin zeigt uns an Tanyas Familie, welche Auswirkungen die Kulturrevolution auf die Bevölkerung hatte, wie allgegenwärtig die Bespitzelung durch die Partei ist und welche verheerende Folgen es haben kann, wenn man gegen Bestimmungen verstößt. Denn die Kontrolle der Partei reicht bis ins Tanyas Privatleben. Es könnte sie am Ende ihren Studienplatz kosten, wenn sie von Norman schwanger würde.

In einer klaren, direkten aber nicht weniger eindrücklichen Sprache zeichnet die Autorin eine ängstliche, unsicher junge Frau, die manchmal selbst nicht weiß, woher sie die Kraft hat, um ihre Liebe zu kämpfen. Politik interessiert sie nicht, doch die Geschehnisse öffnen ihr die Augen, denn ihre Familie ist, und war immer, von den Ereignissen direkt betroffen.

Für mich fühlte sich die Geschichte von Beginn an sehr authentisch an. Kein Wunder, verarbeitet Lingyuang hier doch ihre eigene Geschichte, wie ich erfahren habe. Eine junge Frau, die lieben möchte, wen sie will, die sich kaum vorstellen kann, dass die Liebe zu einem Ausländer etwas Unerwünschtes in den Augen der Partei sein könnte. Hätte ich selbst im Ansatz nicht ähnliches in der damaligen DDR erlebt, wäre es wohl kaum begreiflich, wie weit sich ein Machtapparat in ein privates Leben einmischen kann.
Aber Frau zu sein in China bedeutet noch so viel mehr, all das hat mir die Autorin sehr nahegebracht und mir einen intimen Blick auf die Kultur eines Landes geboten, das ich nur aus den Nachrichten kenne. Das war für mich die Stärke des Romans. An manchen Stellen hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht, manches war zu schnell aberzählt. Ich mochte Tanyas Entwicklung, nachdem sie in Deutschland kurz nach der Wende vorn vorne starten musste. Denn hier warten ganz neue Probleme auf sie. Allerdings hätte ich mir mehr Einblicke in Normans Verhalten und seine Gründe gewünscht.
In allem war es eine außergewöhnliche Geschichte, die mir für vieles die Augen geöffnet hat, die ich gern gelesen habe und allen empfehlen möchte, die sich für China interessieren.

Klappentext

1987 bewegen Deng Xiaopings Reformen ganz China. Wie Millionen andere, will auch die junge Informatikerin Lu Tanya, Kind einer armen Familie aus der Provinz, dazu beitragen, eine neue, florierende Zukunft aufzubauen. Ihre schon früh erblühte Liebe zur Literatur und zu Konfuzius Lehren von der Harmonie aber lassen Sie heimlich davon träumen, eines Tages selbst literarische Werke zu schreiben. Tatsächlich gelingt es ihr, an der renommierten Fudan-Universität in Shanghai als hochbegabte Stipendiatin Journalistik zu studieren und damit ihrem Leben einen anderen Verlauf zu ermöglichen.

In der Universitätsbibliothek begegnet ihr der junge deutsche Sinologe Norman Berger. Zwischen beiden entspinnt sich eine Liebesbeziehung, die, kaum geboren, ins Fahrwasser gesellschaftlicher Zwänge gerät. Das von der Partei erteilte Verbot wilder Ehen mit »kapitalistischen« Ausländern, plötzlich aufkommende Forderungen der Studenten nach mehr Demokratie und deren staatliche Unterdrückung, die Gefahr von Denunziation und Statusverlust werden zu den Gegenspielern einer jungen Frau, die ihre erste große Liebe zu retten versucht.

Luo Lingyuan zeichnet in ihrem Roman das Porträt einer politisch aufgeheizten Zeit und erzählt behutsam zart eine Liebesgeschichte, deren Heldin in Berlin ihrem Leben noch einmal eine ganz andere Wendung geben wird.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-96639-066-8
Verlag: Secession Verlag
Erscheinungsjahr: 27. Februar 2023
Seiten: 292, Hardcover

Über die Autorin

Luo Lingyuan, geboren 1963, ist Autorin und Journalistin, studierte Computerwissenschaft und Journalismus in Shanghai und lebt seit 1990 in Berlin. Sie veröffentlichte mehrere Romane und Erzählbände, darunter Die chinesische Delegation und Sehnsucht nach Shanghai.

Für den Erzählband »Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock!« wurde sie 2007 mit dem Adelbert-von-Chamisso Förderpreis ausgezeichnet. 2017 erhielt sie den Erfurter Stadtschreiber-Literaturpreis. 2020 war sie Alfred-Döblin-Stipendiatin der Akademie der Künste Berlin.

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