Werbung. Herzlichen Dank an den Penguin Verlag für das Rezensionsexemplar.
Ich gebe es zu, so viele Literaturnobelpreisträger sind mir noch nicht untergekommen, entsprechend Respekt hatte ich vor diesem Werk, zumal Gurnah in Deutschland bis dahin unbekannt war.
Der Roman spielt um die vorige Jahrhundertwende in Sansibar und dem heutigen Tansania. Yusufs Kindheit endet mit 12 Jahren abrupt. Sein Vater, der sich mit seinem kleinen Hotel verspekuliert hat, muss Yusuf dem Geldgeber und Händler Aziz als Pfand geben. Bei ihm arbeitet Yusuf in einem kleinen Laden und freundet sich mit Khalil an, der das gleiche Schicksal teilt. Später darf er Aziz auf einer seiner Handelsrouten entlang der ostafrikanischen Küste begleiten. Da ist das Land bereits um Umbruch, altbewährte Abmachungen zählen nicht mehr, der Handel, wie er einst üblich war, wird immer schwieriger und die Europäer kolonialisieren Yusufs Heimat – sein Traum von einem kleinen Paradies verschwindet immer mehr.
„Wenn es ein Paradies auf Erden gibt, dann ist es hier, ist es hier, ist es hier.“ S.151
Die Coming-of-Age-Geschichte spielt in einer multiethnischen und -religiösen Gesellschaft, die ihre arabisch-muslimische Herrschaft an die Europäer abtreten muss. Sie erzählt von einer verlorenen Freiheit, Rassismus, Entwurzlung und Konfrontationen zwischen den Kulturen und einer neuen Sklaverei durch die Kolonialmächte.
„Und wer lebt in diesem Paradies? Wilde und Diebe, die unschuldige Händler berauben und ihre eigenen Brüder für irgendwelchen Krimskrams verschachern.“ S.236
Yusuf ist ein durchweg liebenswerter Charakter, das bunte Treiben und die zahlreichen Geschichten haben das Buch für mich lebendig gemacht. Oft habe ich mich in »1001 Nacht« versetzt gefühlt, weil es auch eine Ansammlung vieler kleiner Geschichten ist, der man einfach nur zuhören muss.
An manchen Stellen fiel es mir aber schwer, der Geschichte zu folgen, weil mir sicher das Hintergrundwissen dazu fehlte. Zumindest für die mir fremden Begriffe half das 9-seitige Glossar enorm. In allem sicher kein leichter Roman, denn es steckt noch viel mehr dahinter, vor allem wenn es um das Thema Religionen geht. Dennoch ist er eine Empfehlung für alle, die tiefgründige, historische Auseinandersetzungen nicht scheuen und Interesse an postkolonialer Literatur habe.
Klappentext
Ostafrika, Anfang des 20. Jahrhunderts: Der zwölfjährige Yusuf führt mit seiner Familie ein einfaches Leben auf dem Land. Als der Vater sich mit seinem kleinen Hotel verschuldet, wird Yusuf in die Hände von Onkel Aziz gegeben und landet im lebhaften Treiben der Stadt, zwischen afrikanischen Muslimen, christlichen Missionaren und indischen Geldverleihern. Die Gemeinschaft dieser Menschen ist alles andere als selbstverständlich und von subtilen Hierarchien bestimmt. Yusuf hilft in Aziz‘ Laden und bei der Pflege seines paradiesisch anmutenden Gartens. Doch als der Kaufmann ihn auf eine Karawanenreise ins Landesinnere mitnimmt, endet Yusufs Jugend abrupt. Die gefährliche Unternehmung bringt Krankheit und Tod und zeigt allen Teilnehmern schmerzhaft, dass die traditionelle Art des Handels keine Zukunft mehr hat. Was Yusuf erlebt, lässt ihn erwachsen werden. So verliebt sich der junge Mann nach seiner Heimkehr kopfüber, aber er und alle um ihn herum werden brutal mit der neuen Realität der deutschen Kolonialherrschaft konfrontiert.
Einfühlsam, lebendig und in leichtem, humorvollem Ton, erzählt Abdulrazak Gurnah in »Das verlorene Paradies« vom Erwachsenwerden in Zeiten des kolonialen Umbruchs. Im Original 1994 erschienen, stand der Roman u.a. auf der Shortlist des Booker Prize und stellte für Gurnah den Durchbruch als Schriftsteller dar. Jetzt ist er endlich wieder in der Übersetzung von Inge Leipold auf Deutsch zu lesen.
Bibliografische Angaben
ISBN: 978-3-328-60258-3
Verlag: Penguin Verlag
Erscheinungsjahr: 8. Dezember 2021
Übersetzung: Inge Leipold
Seiten: 336, Hardcover
Über den Autor
Abdulrazak Gurnah (geb. 1948 im Sultanat Sansibar) wurde 2021 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Er hat bislang zehn Romane veröffentlicht, darunter »Paradise« (1994; dt. »Das verlorene Paradies«; nominiert für den Booker Prize), »By the Sea« (2001; »Ferne Gestade«; nominiert für den Booker Prize und den Los Angeles Times Book Award), »Desertion« (2006; dt. »Die Abtrünnigen«; nominiert für den Commonwealth Writers‹ Prize) und »Afterlives« (2020; dt. »Nachleben«; nominiert für den Walter Scott Prize und den Orwell Prize for Fiction). Gurnah ist Professor emeritus für englische und postkoloniale Literatur an der University of Kent. Er lebt in Canterbury. Seine Werke erscheinen auf Deutsch im Penguin Verlag.
Pressestimmen
»Einer der herausragendsten postkolonialen Schriftsteller der Welt. Kompromisslos und mit großem Mitgefühl durchdringt er in seinen Werken die Auswirkungen des Kolonialismus in Ostafrika und seine Auswirkungen auf das Leben entwurzelter und migrierender Menschen.«
Anders Olsson, Vorsitzender des Nobelkomitees (07. Oktober 2021)
»Unterhaltsamer und aufrichtiger kann Humanismus kaum dargestellt werden.«
Deutschlandfunk »Büchermarkt«, Jan Drees
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