Werbung, ich bedanke mich beim Verlag Jung und Jung für das Rezensionsexemplar.
Ich schwärme ja selten für ein Cover, aber hey, hier kann ich nicht anders. Wie schön ist das denn bitte? Und ich bin so froh, dass ich es lesen durfte, denn der Inhalt steht dem Cover in nichts nach.
Arielle, 14, ist anders als andere, wäre aber gern wie sie. Denn sie hat kaum Haare auf dem Kopf, nur Stummelchen als Zähne, aber was sie besonders belastet in diesem heißen Sommer, sie kann nicht schwitzen. Sie muss ihren Vater unterstützen, der die Wohnungen von Verstorbenen ausräumt und alles Nichtverwertbare anschließend auf den Müllplatz entsorgt. Von dort bringt er alte Festplatten mit, die sie gemeinsam nach Kryptowährung durchsuchen. Doch Arielle findet viel Spannenderes – das Leben anderer Menschen auf Fotos.
»Ich fand Bruchteile von gelebten Leben, in Nullen und Einsen übersetzt, verloren, vergessen, weggeworfen.« S.37
»Und ich fand Pauline.
Pauline, die beim Eislaufen denselben Strickpullover trug wie ihre Mutter.
Pauline, die ihre rot lackierten Zehen in türkisem Seewasser baumeln ließ.
Pauline, die auf dem Handtuch neben dem Sprungturm lag, das Kinn auf beide Arme stütze …« S. 41
Pauline, ein schönes Mädchen, wie geschaffen für Social Media – das Gegenteil von Arielle. Mit Pauline richtet sie sich einen Fake-Account ein und bekommt endlich etwas Aufmerksamkeit. Auch Arielles psychisch labile Mutter erkennt das Potenzial von Paulines schönem Gesicht und nutzt den Account für ihre Zwecke.
Und da ist noch Aljoscha, ihr bester Freund, der in seinem Studio neben der Müllkippe ausrangierte Schaufensterpuppen mit Lumpen einkleidet. Und Yasmin, ihre beste Freundin, »die für FireFly die hässlichen Stellen aus ihrem Leben schnitt wie matschiges Fruchtfleisch aus einem zu Boden gefallenen Apfel.«
Treffend und oft witzig zeichnet Gruber ein Gesellschaftsporträt. das unser Leben zwischen Realität und Social Media widerspiegelt. Eine Jagd nach Klicks und Aufmerksamkeit mit all seinen Tücken.
Es ist ein trauriges Buch mit einer sehr außergewöhnlichen Hauptfigur und einem Funken Hoffnung. Es geht um Verlockungen, Versprechungen und Fakes im Internet und wie leicht man ihnen erliegen kann. Arielle, die gern so sein möchte wie die anderen Mädchen in ihrem Alter, die sich das Lächeln der Models aus Zeitungen schneidet, um zu sehen, ob es ihr steht. Gruber erzählt von Vereinsamung und Erwachsenwerden irgendwo am Rand der Stadt zwischen Social Media und Müllkippe, wo Träume und Wünsche wie Seifenblasen platzen.
Gruber schreibt sehr unterhaltsam und tiefgründig, findet großartige Bilder und Worte für ein Mädchen, das vielleicht das Erste ihrer Art ist.
Ich hoffe, dass wir in Zukunft noch viel von ihm lesen werden.
Klappentext
Sie ist vierzehn und wäre gerne wie andere Mädchen, vor allem schön. Doch Arielle hat kaum Haare am Kopf, mit ihren Zähnen stimmt was nicht, und obwohl Sommer ist, kann sie nicht schwitzen. Die Nachmittage verbringt sie mit ihrem Vater in den Wohnungen von Verstorbenen, um diese auszuräumen und das Brauchbare vom Müll zu trennen. Während er am Abend weggeworfene Festplatten nach Kryptogeld durchsucht, wühlt sie sich auf alten Handys durch fremde Existenzen – bis sie eines Tages auf Pauline stößt und die Fotos, die sie auf dem Telefon des unbekannten Mädchens findet, ins Internet hochlädt. Die Herzen fliegen ihr zu, auch das von Erich. Aber während ihr bald alles zu viel wird, findet ihre psychisch labile Mutter Gefallen an der ungewohnten Aufmerksamkeit und will den Kanal nutzen, um ihre ganz eigenen Träume zu verwirklichen.
Dieses Buch hisst die Fahne der Literatur auf dem Müllplatz unserer Gegenwart und ist dabei hinreißend und herzerwärmend komisch. Es hält uns den Spiegel vor und zeigt uns, wie wir eben sind: mit einem Lächeln, das echt und falsch ist, schön und hässlich zugleich.
Bibliografische Angaben
ISBN: 978-3-99027-280-0
Verlag: Jung und Jung
Erscheinungsjahr: 27. Juli 2023
Seiten: 304, Hardcover
Über den Autor
Matthias Gruber, 1984 in Wien geboren, in Salzburg aufgewachsen, wo er heute mit seiner Familie lebt.
Er hat Theaterwissenschaften studiert und als Rezeptionist, im Onlinemarketing und in einer Notschlafstelle gearbeitet. Er ist Mitgründer der Salzburger Stadt-Magazine fraeuleinflora.at und QWANT. »Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art« ist sein erster Roman.
Auszeichnungen
2020 Gewinn des FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb »Wortlaut«
Antworten