EIN SOHN DER STADT – Kent Haruf

Da steht er nun mit seinem protzigen roten Cadillac, mitten auf der Main Street, und rührt sich nicht. Für die Bewohner von Holt ein Affront, dass Jack Burdette sich überhaupt traut, nach acht Jahren zurückzukommen. Keiner hat vergessen, dass er damals seine schwangere Frau verlassen, ein paar Ladenbesitzer geprellt und sich das gesamte Geld der örtlichen Farmer-Kooperative unter den Nagel gerissen hat. Es ist Zeit für Antworten, finden sie.
Pat Arbuckle, der Herausgeber des Mercury Holt, erzählt uns Burdettes Geschichte, einem Sohn dieser Stadt, den er seit seiner Schulzeit kennt.
Schon als Kind war Burdette so unerträglich, dass selbst die Lehrerin an ihm verzweifelt ist, selbstverliebt, laut und verschlagen. Doch dann wird er zum Footballstar, der ein wenig Ruhm in die Kleinstadt bringt und man scheint über seine asoziale Art hinwegzusehen. Und er weiß, wie er die Menschen um seinen Finger wickeln kann. Aber warum ist Burdette ausgerechnet jetzt zurück?

Haruf versteht es, die Menschen ganz genau zu beobachten und das Gefüge einer Kleinstadt zu sezieren. Mit Burdette hat er einen Antihelden geschaffen, der sich für nichts und niemanden interessiert. In seiner gewohnt schlichten Art erzählt er, wie es so weit kam, dass Burdette sein Unwesen treiben konnte, was nun nach seine Rückkehr droht, in einer Katastrophe zu enden.

Haruf, der 2014 starb, hat leider nur eine Hand voll Romane hinterlassen. Dieses bleibt ein wenig hinter »Das Band, das uns hält« und »Ein Lied der Weite« zurück, denn Pat, der Ich-Erzähler mit auktorialen Zügen, bleibt durchweg etwas blass. Gerade im zweiten Teil, als er nicht nur der rückblickende Beobachter ist, sondern selbst Teil der Ereignisse wird, geraten ihm einige Passagen zu langatmig, andere zu stilisiert. Aber das ist jetzt Meckern auf hohem Niveau, denn für mich bleibt Haruf einer der besten amerikanischen Erzähler. Und ich wiederhole mich gern, in seinen Geschichten menschelt es sehr, das ist es, was ihn ausmacht, seine Sicht auf die kleinen Menschen mit ihren Träumen, Hoffnungen und Alltagssorgen.

Klappentext

Acht Jahre ist es her, dass Jack Burdette, der einstige Liebling der Stadt, über Nacht verschwand – mit 150 000 Dollar im Gepäck, die er der Getreide-Kooperative von Holt gestohlen hat. Nun sitzt er da, mitten auf der Mainstreet, in einem protzigen roten Cadillac. Das spricht sich in der Kleinstadt natürlich schnell herum, und in vielen Bewohnern kocht die Wut von damals wieder hoch und die Frage, was Jack nur veranlasste, sie alle zu betrügen und seine schwangere Frau Jessie allein zurückzulassen. Sie hingegen hat keine Fragen mehr und möchte einfach ihr glückliches Leben, das sie sich mittlerweile mit Pat, dem Herausgeber der Lokalzeitung von Holt, aufgebaut hat, weiterleben.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-257-07172-6
Verlag: Diogenes Verlag
Erscheinungsjahr: 27. Oktober 2021
Übersetzung: pociao und Roberto de Hollanda
Seiten: 288, Hardcover, Leineneinband

Über den Autor

Kent Haruf, geboren 1943 in Colorado, war ein amerikanischer Schriftsteller. Alle seine sechs Romane spielen in der fiktiven Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado. Er wurde unter anderem mit dem Whiting Foundation Writers’ Award, dem Wallace Stegner Award und dem Mountains & Plains Booksellers Award ausgezeichnet. Sein letzter Roman, ›Unsere Seelen bei Nacht‹, wurde zum Bestseller und mit Jane Fonda und Robert Redford in den Hauptrollen verfilmt. Kent Haruf starb 2014.

Alle Werke

• Ein Sohn der Stadt (1990)
Lied der Weite / Flüchtiges Glück (1999)
• Abendrot (2004)
• Kostbare Tage (2013)
• Unsere Seelen bei Nacht (2015)
Das Band, das uns hält (2023)

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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