Flucht und Migration hat mich im letzten Jahr thematisch durch viele Bücher hindurch begleitet. Auf dieses wurde ich vor allem durch den Titel aufmerksam.
Aida hat eine sehr bewegte Vergangenheit hinter sich, über die sie mit ihrem Freund Daniel nicht sprechen kann. Da er nicht aufhört zu fragen, führt das zu sichtlichen Spannungen in der Beziehung und Aida beginnt ihre Geschichte aufzuschreiben.
Aida wird in einem Flüchtlingslager im Iran geboren, nachdem ihre Eltern mit ihrer Schwester aus dem von Saddam Hussein regierten Irak in die Schweiz fliehen. Nosche und Aida wachsen in der Schweiz auf, gehen dort zur Schule und fühlen sich zu Hause, doch ihre Eltern kommen nie richtig an und beschließen mit den Kindern in den Irak zurückzukehren. Das, was für den konservativen Vater und die traditionell lebende Mutter eine Heimat ist, kennen die Mädchen nur aus Erzählungen. Doch die Rückkehr wird zur Ernüchterung, das Dorf ist nicht mehr das, was es einmal war und auf Nosche und Aida wartet keine rosige Zukunft, bestenfalls ein Leben als Ehefrau in einer arrangierten Ehe. Also beschließen sie, zurück in die Schweiz zu flüchten. Auch wenn ihnen die Flucht gelingt, so müssen sie doch einen hohen Preis dafür bezahlen.
Gleich vorweg, das Buch hat es mir nicht leicht gemacht. Ich tat mich schwer mit den teils hölzernen Dialogen und der zu arg konstruierten Beziehung zwischen Daniel und Aida, die scheinbar nur zeigen sollte, dass Westeuropäer unsensibel sind. Drei Mal habe ich es aus der Hand gelegt, bis ich beschloss, mich nur noch auf den Inhalt zu konzentrieren. Und nun muss sich sagen, es hat sich durchaus gelohnt.
Al Shahmani greift in seinem Roman viele Gedanken rund um das Thema Migration auf und bindet sie sehr ergreifend ein.
Leider geraten hier die chronologischen Vorgriffe und Rückblicke oft durcheinander, was meinen Lesefluss zusätzlich ausgebremst hat. Doch letztlich hat mich Aidas Schicksal sehr berührt, denn ich spürte ihre Zerrissenheit, zwischen den Kulturen ihren eigenen Weg zu finden, ihre eigene Stärke zu entwickeln. Einen Weg, den ihre Eltern nie gefunden haben, was nicht nur daran lag, dass sie sich weigerten, eine andere Sprache zu lernen.
Al Shahmanis Kritik bleibt dabei nicht einseitig. Er zeigt deutlich die patriarchalen Strukturen am Verhalten des Vaters, dem sich die Mutter widerspruchslos unterordnet und dasselbe von ihren Töchtern erwartet, als auch Vorurteile, Bürokratie und Fremdenfeindlichkeit, denen Aida in der Schweiz immer wieder ausgesetzt ist. Eins der Fazits für ich ist, dass Integration nicht einseitig ist, sondern auch wir als Gesellschaft und Mitmenschen unseren Teil dazu beitragen müssen.
Unterm Strich bekommt das Buch dennoch eine eindeutige Leseempfehlung von mir, weil es inhaltlich komplex und nachvollziehbar ist, wenn es darum geht, die Gedanken, Gefühle und Hoffnungen der Geflüchteten besser zu verstehen. Vor allem auch ihre Anstrengungen zu sehen, in einem fremden Land eine neue Heimat zu finden, sie dabei zu unterstützen und nicht auszugrenzen. Sicher werden viele Leser*innen auch ihre Freude mit der blumigen Sprache haben, die der Autor immer wieder einfließen lässt. Ich tue mich da immer etwas schwer, auch wenn sie hier als Stilmittel fungiert, um die unterschiedlichen Kulturen deutlich zu machen.
Klappentext
Aidas Freund lässt nicht locker, wenn es um ihre irakische Herkunft geht. Er will wissen, warum ihre Familie geflohen ist, doch Aida hat keine Antworten für ihn. In ihrer Not beginnt sie zu schreiben, was sie nicht sagen kann, lässt ihre Gefühle in arabische Buchstaben und deutsche Worte fallen.
Geboren in einem iranischen Flüchtlingsheim, kam sie mit ihren Eltern und ihrer großen Schwester in den Westen. Doch was ihr zur Heimat wurde, blieb ihren Eltern stets fremd. Als Aidas Vater beschließt, in den Irak zurückzukehren, müssen die Schwestern mit – und werden empfangen von einem Land, mit dem sie nichts verbindet.
Usama Al Shahmani erzählt vom Fremdsein, vom Ankommen, vom Zurücklassen. Und von diesem einen Fenster der Hoffnung, das sich niemals schließt.
Bibliografische Angaben
ISBN: 978-3-293-20992-3
Verlag: Unionsverlage
Erscheinungsjahr: 10. Juli 2023
Seiten: 240, Taschenbuch
Über den Autor
Usama Al Shahmani, geboren 1971 in Bagdad und aufgewachsen in Qalat Sukar (Nasirija), hat arabische Sprache und moderne arabische Literatur studiert. Er publizierte drei Bücher über arabische Literatur, bevor er 2002 wegen eines Theaterstücks fliehen musste und in die Schweiz kam. Er übersetzt ins Arabische, u. a. «Fräulein Stark» von Thomas Hürlimann, «Der Islam» von Peter Heine und «Über die Religion» von Friedrich Schleiermacher. Seit 2021 ist er Literaturkritiker beim «Literaturclub» des Schweizer Fernsehens SRF. Sein erster Roman «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» wurde mehrfach ausgezeichnet und war u. a. für das «Lieblingsbuch des Deutschschweizer Buchhandels» nominiert. Seither sind die Romane «Im Fallen lernt die Feder fliegen» und «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» erschienen. Usama Al Shahmani lebt in Frauenfeld. 2022 nahm er mit seinem Text «Porträt des Verschwindens» an den 46. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt teil.
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