»Erzählung zur Sache« von Stephanie Bart

Werbung. Herzlichen Dank an den Secession Verlag für das Rezensionsexemplar.

Stephanie Bart betritt mit ihrem Werk »Erzählung zur Sache« ein Minenfeld der bundesdeutschen Geschichte – genauer gesagt, den turbulenten Zeitraum der ersten Generation der RAF, damals auch Baader-Meinhof-Bande genannt. Dieses literarische Opus ist mehr als nur ein Buch über die ersten Jahre der RAF, es ist ein Versuch, die Komplexität hinter den Schlagzeilen, und die Weltsicht der RAF, zu enthüllen.

Bart spannt einen gewaltigen Bogen von dem Attentat auf die US-Kaserne in Heidelberg 1972 bis zur schicksalhaften Todesnacht in Stammheim 1977. Doch der Fokus liegt nicht auf den dramatischen Ereignissen der Terroranschläge, sondern auf den schattigen Korridoren der Haftanstalten und vor allem auf einer zentralen Figur: Gudrun Ensslin. In einem Geflecht aus schikanösen Haftbedingungen und ideologischem Kampf gegen das System entfaltet sich Ensslins Kampfgeist und ihre innere Zerrissenheit auf beklemmende Weise.

Der Blick hinter die Gefängniszellen ist kein leichter, doch Bart scheut sich nicht, die düsteren Ecken der Geschichte auszuleuchten. Der Prozess in Stammheim und die fragwürdigen juristischen Maßnahmen gegen die RAF werden dabei ebenso schonungslos beleuchtet wie die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel des Rechtsstaates und der fragwürdigen Behandlung der Gefangenen.

»Erzählung zur Sache« ist keine leichte Kost, kein Buch für den schnellen Konsum. Bart erwartet von uns Leser*innen ein gewisses Vorwissen über die RAF und die 70er-Jahre, und der Roman erfordert eine intensive Lektüre. Doch wer sich dieser Herausforderung stellt, wird mit einer kritischen Betrachtung des Wirkens der RAF belohnt. Denn Bart bedient sich einer Vielzahl von Stilen und Gattungen, die geschickt miteinander verwoben sind. Umdichtungen von Liedern treffen auf Dialogprotokolle, Zitate auf fiktionale Elemente, und zahlreiche historische Figuren und philosophische Überlegungen werden geschickt in die Erzählung eingestreut.

Das Ergebnis ist ein beeindruckendes literarisches Werk, das nicht nur die historischen Ereignisse aufarbeitet, sondern auch einen kritischen Blick auf die Gegenwart wirft. Bart führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um die Herausforderungen der Gegenwart zu verstehen und anzunehmen.

»Erzählung zur Sache« ist ein Roman, der nachhallt. Er lässt den Leser nicht unberührt und zwingt ihn dazu, die eigenen Überzeugungen und Vorurteile zu hinterfragen. In einer Zeit, in der die politische Polarisierung zunimmt und extremistische Bewegungen erneut an Macht gewinnen, ist dieses Buch eine dringend benötigte Erinnerung daran, dass die Geschichte sich oft wiederholt, wenn wir nicht bereit sind, aus ihr zu lernen.

Stephanie Barts »Erzählung zur Sache« ist kein Buch für die leichte Unterhaltung zwischendurch. Es ist ein Buch für diejenigen, die bereit sind, sich den Herausforderungen der Geschichte zu stellen und daraus zu lernen. Es ist ein Buch für diejenigen, die sich weigern, die Augen vor der Realität zu verschließen, und die nach Antworten suchen, auch wenn sie unbequem sind. In einer Zeit, in der die Wahrheit immer mehr zu einem Spielball der Macht wird, ist dieses Buch ein kraftvolles Plädoyer für die Erinnerung und die Reflexion.

Klappentext

Stephanie Bart folgt in ihren Romanen der Spur des Widerstands. Auch in der Erzählung zur Sache widmet sie sich dem Widerspruch zwischen dominanten gesellschaftlichen Kräften und ihren Antipoden, hier: Gudrun Ensslin. Wir tauchen ein in die Atmosphäre der Bundesrepublik des Jahres 1972 und verfolgen aus der Subjektive von Gudrun Ensslin, was es bedeutet, wenn sich ein junger Mensch mit einem intakten Gewissen dazu entscheidet, die faschistische Kontinuität der Bundesrepublik nicht hinzunehmen. Mit ihrer Sprache, deren Wucht wir aus der Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss kennen, lässt die Autorin in einer trommelnden, singenden, rhythmischen Komposition aus historischem Dokumentenmaterial und Schlüsselzitaten der linken Theorie die Figur der Gudrun Ensslin vor unserem inneren Auge lebendig werden: von den bunten, gewaltfreien Protesten in der APO über die Baader-Befreiung (Gründung der RAF) und die 5 ½ Jahre ihrer Inhaftierung bis zu ihrem Tod im Stammheimer Gefängnis am 18. Oktober 1977. Stephanie Bart knüpft im Spiegel dieser Figur an eine gesellschaftliche Perspektive an, die nicht erst seit Heine, Büchner, Benjamin oder Brecht auf das gute Leben für alle zielt, das der Mensch, laut Schiller, nur da zu leben imstande ist, wo er spielt. Spielerisch entfesselt Stephanie Bart in der Erzählung zur Sache ein Denken, in dem der immerzu bemühte, aber nie verwirklichte Begriff der Würde des Lebens endlich laufen lernen könnte: auf eine Zukunft zu, in der niemand zurückgelassen und das Ökosystem instand gehalten wird, denn es ist fünf nach zwölf!

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-96639-078-1
Verlag: Secession-Verlag
Erscheinungsdatum: 28.08.2023
Seiten: 550, Hardcover

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"Es gibt nur einen Weg, um Kritik zu vermeiden: Nichts tun, nichts sagen, nichts sein" Aristoteles

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