WER FINDET DAS OPFER – Ross Macdonald

Werbung, danke an Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Vor ungefähr 10 Jahren bin ich auf einem Bücherflohmarkt über die schönen alten schwarz-gelben Diogenesausgaben von Ross Macdonald gestolpert und hab sie alle verschlungen. Vor allem seine Lew-Archer-Krimis. Nun wurden einige bei Diogenes neu übersetzt und wie ich feststellte, hat mir Band fünf tatsächlich gefehlt. Wer Macdonald liest, sollte wissen, dass der Originaltitel »Find a Victim«, (1954) bereits unter »Opfer gesucht« und »Anderer Leute Leichen« erschien.

»Er war der gruseligste Tramper, den ich je mitgenommen habe.«

Eigentlich ist Archer unterwegs nach Sacramento, als er im staubigen Nirgendwo der kalifornischen Wüste einen angeschossenen, blutüberströmten Mann am Straßenrand findet und mitnimmt. Nach ewigen Kilometern stößt er auf ein Motel und dessen feindseligen Besitzer Kerrigan, dem das Opfer kein Unbekannter zu sein scheint. Tony Aquista verstirbt kurz darauf im Krankenhaus und verzögert Archers Weiterreise.
Las Cruces ist ein Ort, wo jeder mit jedem verbandelt ist und eine Menge zu verbergen hat. Archer findet heraus, dass Aquista einen Lastwagen voller Hochprozentigem gefahren hat, doch der Truck ist verschwunden. Seine Suche führt ihn unter anderem zu einem alten Bankraub, ner Menge Korruption, und natürlich zu einer weiteren Leiche.
Es geht hart zu in den 50ern, Frauen werden geschlagen und vergewaltigt und auch Archer muss sich (ausführlich in einer fast filmisch dargestellten 2 Seiten langen Szene) ordentlich prügeln. Doch er folgt seinem Instinkt und lässt sich von niemanden mundtot machen.

Hier fliegen ordentlich die Fäuste und auch ein paar Kugeln. Dass es so gewalttätig zugeht, war mir gar nicht mehr in Erinnerung. Die Männer sind wenig sympathisch, die Frauen schwach und in ihrer Rolle als Gattin gefangen. Im Gegensatz zu manch anderen Büchern aus der Reihe fehlen mir hier die starken und toughen Frauenfiguren, für die Archer nicht nur eine Schwäche hat, sondern für die er auch immer Partei ergreift.

Doch genau das ist es, was Macdonalds Kimis widerspiegeln, die Korruption des gar nicht so sonnigen Kaliforniens, in dem die Männer ihre Überlegenheit oft mit roher Gewalt demonstrieren, dysfunktionale Familien, deren Konflikten Archer auf den Grund geht.
Ich denke, es ist nicht Macdonalds bester Krimi, aber durchaus lesenswert, wenn man die alten Detektivromane mag. Mit Archer hat er eine Figur geschaffen, die Chandlers Philip Marlowe nachempfunden und doch anders ist. Auch wenn wir privat so gut wie nichts über ihn erfahren, beweist er, dass er einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hat und sich dafür einsetzt, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Auch wenn das heißt, ordentlich was einzustecken. Was wiederum typisch für das damalige Krimigenre war. Zum Glück entwickelt sich Archer in den Folgebänden weiter.

Dashiell Hammett, Raymond Chandler und Macdonald werden von den Kritikern gern als „Heiligen Dreifaltigkeit“ des Hardboiled-Krimis bezeichnet. Wer also die beiden anderen mag, sollte sich die Lew Archer Reihe nicht entgehen lassen. Ich für meinen Teil bin nun komplett durch Macdonalds Werk durch.
Unterm Strich war es wieder ein rasantes Leseerlebnis, das mich gut unterhalten hat.

Klappentext

Auf dem südkalifornischen Highway Richtung Sierra Nevada findet Privatdetektiv Lew Archer den angeschossenen Tony Aquista. Seine Machenschaften haben ihn das Leben gekostet. Als Archer Klarheit in die Sache zu bringen versucht, merkt er, dass Las Cruces die Art von Kleinstadt ist, in der jeder mit gezinkten Karten spielt. Und schon macht Archer die Aufklärung des Falls zu seiner Sache: »Es war Wut, die ich empfand, Wut auf die Hilflosigkeit der Toten und auf meine eigene Hilflosigkeit. Die Bussarde über uns zogen schwankend ihre Kreise, wie beschwipste Bestatter.« Ein handlungsstarker früher Macdonald, in dem gleichzeitig bereits seine einzigartige Beschreibungskunst erblüht – in Neuübersetzung.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-257-30097-0
Verlag: Diogenes Verlag
Erscheinungsjahr: 1954 (Find a Victim), 2024 Neuübersetzung
Übersetzung: Thomas Stegers
Seiten: 320, Paperback

Über den Autor

Ross Macdonald (eigentlich Kenneth Millar), geb. 1915, gest. 1983 zählt zu den besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts. Er wird in Großbritannien und Amerika und nun auch bei uns wiederentdeckt. Seine Kriminalromane gelten als Spiegel der amerikanischen Gesellschaft. Ross Macdonald war Präsident der Mystery Writers of America. 1964 gewann er den Silver, 1965 den Gold Dagger Award.

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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