GUTE NACHT, TOKIO – Atsuhiro Yoshida

Werbung, ich bedanke mich bei Hanser Literaturverlage für das Rezensionsexemplar.

Yoshida schafft es, mit seinen Worten Stille über eine Stadt auszubreiten, die auch nachts nicht zur Ruhe kommt. In einzelnen, gedanklich miteinander verbundenen Episoden erzählt er von denen, die nachts durch Tokio streifen – Nachteulen, Nachtschwärmer, Menschen, denen der Tag zu laut und zu grell ist. Matsui, der mit seinem Taxiunternehmen »Blackbird« nur Nachtfahrten unternimmt, Mitsuki, die als Filmrequisiteurin eine Biwa, eine seltene Frucht, auftreiben soll oder Kanako, die bei der Telefonseelsorge arbeitet, und die korrekte Entsorgung einer Sprachaufzeichnungsbox beaufsichtigen soll.
Alle Figuren scheinen nach etwas auf der Suche zu sein, wirken seltsam verloren, ein bisschen skurril und werden abwechselnd von Yoshida in den Fokus gerückt. Perspektiven werden gewechselt, so dass jede*r seine Wichtigkeit erhält mit seinen Sorgen, Aufgaben, Wünschen und Träumen.
Und so lassen wir uns mit dem Taxi durch ein Tokio kutschieren, das nur wenig mit der hektischen Stadt zu tun hat, wie wir es kennen. Folgen ihnen in einen Trödelladen, dessen Besitzer einzelne Treppenstufen verkauft, und gebrauchtem Werkzeug neue Namen gibt; zu vier Frauen, die das »Drehkreuz«, ein Nachtbistro leiten; einem Privatdetektiv, der sich auf den Spuren seines Vaters befindet und alte B-Movies ansieht.
Beim Lesen ahnt man schnell, dass ein Gespinst von zarten Verbindungen gewebt wird, das die Menschen früher oder später zusammenführen wird. Es ist die Einsamkeit, die sie verbindet, während sie nachts alle auf besondere Art voneinander abhängig sind und sich nur um Haaresbreite verpassen.

Eine Lektüre, die entschleunigt, die mit der gedämpften Stimme der Nacht leise und empathisch daherkommt, leicht der Wirklichkeit entrückt scheint und nahe am Übersinnlichen vorbeistreicht, doch immer in Rahmen des Vorstellbaren bleibt. Schicksale, Träume und Lebensentwürfe schimmern durch den wolkenverhangenen, nachtblauen Himmel wie eine blasse Mondsichel. Aber auch Liebe und Verlust finden ihren Platz in den Gesprächen – Kanako, deren Bruder seit vielen Jahren verschwunden ist oder Matsui, der noch immer darauf wartet, das diese eine Frau aus vergangenen Tagen wieder in sein Taxi steigt. Vom Verpassen und Erinnern ist die Rede, aber die Nacht macht sichtbar, was das Tageslicht verschluckt.
Mit nur 191 Seiten war es für mich die perfekte Lektüre auf der 5-stündigen Bahnfahrt zur Buchmesse. Alle, die es gern etwas ruhiger haben und vielleicht noch nicht viel japanische Literatur gelesen haben, sollten sich dieses zauberhafte Büchlein nicht entgehen lassen.
2022 erschien das Buch im Cass Verlag und stand zu Recht auf der Hotlist der unabhängigen Verlage. Nun hat es hanserblau erneut herausgebracht. Übrigens wunderbar übersetzt von Katja Busson und die Illustration auf dem Cover stammt vom Autor selbst.

Klappentext

Nachts um eins in Tokio, Atsuhiro Yoshida erzählt warmherzig von Außenseitern und zufälligen Begegnungen.
»Eine zarte Ode auf unerwartete Glücksmomente des Lebens.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

Tokio bei Nacht. Eine Filmrequisiteurin, eine Telefonseelsorgerin, ein Privatdetektiv, eine angehende Schauspielerin, ein Barkeeper. Sie treffen sich, verpassen sich, träumen und erinnern sich. Im Mondschein und dem Licht der Neonröhren wird die Nacht fast zum Tag.
In Atsuhiro Yoshidas liebevoll erzähltem Episodenroman hängt alles auf besondere Weise zusammen – und oft lenken zufällige Begegnungen das Leben in die richtige Richtung.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-257-24666-7
Verlag: Hanser Literaturverlage
Erscheinungsjahr: 23. Oktober 2023
Übersetzung: Katja Busson
Seiten: 191, Harcover

Über den Autor

Atsuhiro Yoshida, geboren 1962 in Tokio, ist Schriftsteller und preisgekrönter Coverdesigner, der in seinen Büchern mit leichter Hand den kleinen Dingen nachspürt, die das Leben lebenswert machen und die zu suchen sich in jedem Fall lohnt.

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Über ein.lesewesen 273 Artikel
Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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