UNSEREINS – Inger-Maria Mahlke

Mahlke verrät uns gleich zu Anfang, wie sie gedenkt, ihre Geschichte zu erzählen, nämlich aus Sicht einer Drohne, »aus der Perspektive eines Regentropfens gedreht«. Und tatsächlich bekommen wir aus diesem modernen Blickwinkel einiges zu sehen vom »kleinsten Staat im Deutschen Kaiserreich«. Ihre Geschichte startet 1890 in Lübeck und stellt die Familie Lindhorst und deren acht Kinder in den Mittelpunkt.

Doch wie das mit Regentropfen so ist, irgendwann fallen sie zu Boden und auch wir sind plötzlich mitten Stadtgeschehen. Heften uns an die Schuhsohlen von Dienstboten, Ratsmitgliedern, Weißnäherinnen, Wasserbaudirektoren und Anstaltsschüler. Keine Frage, Mahlke kann erzählen und ich mochte ihre lebendigen Bilder, die sie vom gesellschaftlichen Leben Lübecks zeichnete. Doch musste ich immer wieder ins vorangestellte Personenverzeichnis schauen, weil ich zunehmend den Überblick über ihre Figuren verloren habe. Historisch betrachtet eine sehr interessante Epoche, die Mahlke auch auszuleuchten weiß, denn das Kaiserreich befindet sich am Höhepunkt und die Sozialdemokraten betreten allmählich die Bühne. Aber statt den Fokus auf der Familie zu halten und daran den gesellschaftlichen Umbruch zu zeigen, wird allen anderen Figuren ebenso viel Raum gegeben und die Geschichte gerät zum Wimmelbuch.
Irgendwann konnte sie mich nicht mehr halten, ich habe das Buch bereits im Dezember beiseitegelegt und auch jetzt wieder festgestellt, dass ich pardout keinen Zugang mehr finden konnte. Ich denke, das Buch benötigt uneingeschränkte Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen. Meins war’s leider nicht.

Klappentext

Eine Lübecker Familie, protestantisch, konservativ, kaisertreu: die Lindhorsts. 1890 kommt Marthe in dem weitläufigen Patrizierhaus in der Königstraße zur Welt. Um sie eine Schar älterer Brüder, deren Freiheiten nicht ihre sein werden. Und doch ist es ein Leben mit glänzenden Aussichten. Bis ein Bestsellerroman, verfasst vom Sohn eines verstorbenen Bekannten, den respektablen Lindhorsts klarmacht, dass sie für ihr Umfeld auch nach zwei Generationen noch immer «die Jüdischen» sind.

Unsereins ist der Roman einer Stadt und ihrer Gesellschaft, ihrer Bürger und Lohndiener, der Handwerker und, vor allem, ihrer Frauen. Ob Dienstmädchen, Hausfrau, Weißnäherin oder Schriftstellerin, ob manisch-depressiv wie Marthes Mutter, durchlässig wie Marthe selbst, die mit eigenen und fremden Erwartungen ringt. Inger-Maria Mahlke erzählt von Identität und Zugehörigkeit, von Geschlecht und Klasse, von Macht- und Liebesverhältnissen – von allem, was nicht nur den vormals «kleinsten Staat des deutschen Reichs» formte und zusammenhielt.

Der neue Roman der Buchpreisträgerin: eine epische Familiengeschichte voll von Respekt, Humor und tiefer Einsicht.

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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