»Faschist werden – Eine Anleitung« von Michela Murgia

Wenn man sich die jüngsten Wahlumfragen anschaut, könnte man meinen, ein Buch mit dem Titel »Faschist werden – Eine Anleitung«,wie dieses von Michela Murgia sei nicht mehr nötig. Doch tatsächlich gibt es Menschen, denen es schwerfällt, sich mit faschistoidem oder gar faschistischem Gedankengut anzufreunden. Und genau an jene wendet sich dieses Büchlein, wie die Autorin gleich am Anfang des Buches klarstellt:

»Dieser Text soll vor allem eine Verständnishilfe für die gebildete Schicht sein, die der Demokratie überdrüssig geworden ist, denn der breiten Masse musste man schließlich noch nie erklären, dass der Faschismus die überlegene Alternative ist.«

Faschist werden, Seite 5

Nun ich bin zwar der Demokratie nicht überdrüssig, aber es wird immer schwieriger, ständig irgendwelche Leute zu überzeugen, dass Parteien, die am rechten Rand der Gesellschaft ausgerichtet sind, nicht unbedingt eine gute Alternative sind um seinen Protest kundzutun. Oder doch? Ich merke, dass ich so langsam, nach 45 Jahren Überzeugungsarbeit, müde werde. Das Leben wäre bestimmt einfacher, wenn ich Faschist wäre. Da kam mir dieser Ratgeber gerade recht. Ich hielt das Buch in den Händen, das meine Zukunft ändern würde!
Ich mach es kurz, ich scheine ratgeberresistent zu sein, mir hat das Büchlein nichts geholfen. Der Antifaschist in mir ist zu ausgeprägt, das zeigte auch das Ergebnis des Tests mit dem Faschistometer am Buchende. Ich bin ich gnadenlos durchgefallen:

»Momentan ähnelst du eher einem wütenden Demokraten als einem heiteren, gut ausgebildeten Faschisten.«

Faschist werden, Seite 96

Voller Ironie, aber auch erschreckend ist das Buch, das tatsächlich aus faschistischer Sicht die Demokratie auseinandernimmt, ihre Schwachstellen benennt, zeigt, wo sie angreifbar ist – aber auch die Stärken beschreibt, die aus faschistischer Sicht heraus auch wieder nur Schwächen sind. Durchweg werden alle demokratischen Errungenschaften negativ charakterisiert. Murgias Werk ist voller so böser, zynischer Überspitzung, dass man sich immer wieder vor Augen halten muss, wer Michela Murgia war, um nicht dem Irrglauben aufzusitzen, das sei tatsächlich ein Ratgeber zur Aushöhlung und Zerstörung der Demokratie.
Es ist ein scharfer, beißender Humor mit dem Murgia den Text gewürzt hat. Das Lachen bleibt einem beim Lesen im Halse stecken, das Schmunzeln der ersten Seiten vergeht einem schnell.
Für normaldenkende Demokraten ist das Buch ein Weckruf, auch auf die kleinen Dinge aufzupassen, die Faschismus begünstigen. In einem langen Teil geht Murgia auch auf die Rolle des Populismus ein, der nicht nur vereinfacht, sondern banalisiert. Und im Nachwort haut sie uns Lesenden dann noch mal das Buch gewaltig um die Ohren, hält uns den Spiegel vor, indem Sie von sich spricht – und uns direkt anspricht.

»Ich weiß, du wünschst dir, ich würde in dieser Nachrede erklären, dass alles nichts als eine Provokation war, […] Das, was ich geschrieben habe, habe ich […] in irgendeinem Augenblick meines Lebens tatsächlich gedacht, …«

Faschist werden, Seite 107

Wir müssen immer wachsam sein, auch uns selbst gegenüber. Und so möchte ich diese Besprechung mit noch einem letzten Zitat der Autorin beenden.

»Nicht alles ist Faschismus, aber der Faschismus hat, wenn wir nicht ständig wachsam sind, die fabelhafte Fähigkeit, alles zu durchseuchen.«

Faschist werden, Seite 108

So, das hat gesessen und jetzt kann ich allen, die des Lesens mächtig sind dieses Buch nur ans Herz legen. Lauft los und kauft es, leiht es euch aus oder klaut es irgendwo. Nie zuvor habe ich erlebt, dass ein so ernstes Thema mit solch bissigem Humor angegangen wurde.

P.S.: Klauen ist vielleicht nicht die beste Idee, es kostet auch gar nicht viel.

Über die Autorin

Michela Murgia wurde 1972 in Cabras (Sardinien) geboren. Mit Romanen wie »Accabadora« avancierte sie zu einer der bekanntesten Autorinnen Italiens. In Radio und Fernsehen, Essays und Satiren wie »Faschist werden« bezog Murgia Position gegen die italienische Rechte und wurde dafür heftig attackiert. Im Frühjahr 2023 machte sie ihre schwere Krankheit öffentlich, im August – kurz nach Erscheinen von »Drei Schalen« in Italien – starb Michela Murgia im Alter von 51 Jahren.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-8031-3686-2
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Erscheinungsdatum: 11.04.2019
Übersetzung: Julika Brandestini
Seiten: 112, Taschenbuch

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"Es gibt nur einen Weg, um Kritik zu vermeiden: Nichts tun, nichts sagen, nichts sein" Aristoteles

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