MURMELBRÜDER – Eine Geschichte aus Sardinien – Michela Murgia

Nachdem mir Accabadora so gut gefallen hat, musste ich natürlich gleich das nächste Buch von ihr lesen. Murmelbrüder ist eine Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt, die mit 111 Seiten zwar kurz aber dafür auf den Punkt ist.
Der kleine Ort Cabras ist nicht nur Murgias Geburtsort, sondern auch Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte, die uns zurück in die Achtzigerjahre führt. Das Wörtchen WIR hat in Cabras einen eigenen Klang und eine besondere Wichtigkeit, das spürt auch der 10-jährige Maurizio, der die Sommer dort bei seinen Großeltern verbringt. Er kann es kaum erwarten, seine Murmelbrüder und Libellenschwestern wiederzusehen.
Gemeinsam mit seinen besten Freunden Giulio und Franco spielen sie verstecken, toben sich bei halsbrecherischen Wettrennen aus oder hecken einen todsicheren Plan gegen eine Rattenplage aus – die natürlich völlig aus dem Ruder läuft. Doch nicht nur die Kinder in Cabras halten zusammen, auch die Erwachsenen finden sich abends vor ihren Häusern ein, erzählen Geschichten und leben den Kindern vor, was eine gute Gemeinschaft ausmacht.
Nun ja, bis zu dem Tag, als der Bischof beschließt, eine zweite Gemeinde samt Kirche im Ort zu gründen. Fast augenblicklich geht ein Riss durch das Dorf und es bilden sich zwei unversöhnliche Fronten. Dieser Bruch macht auch keinen Halt vor der unzertrennlichen Freundschaft der drei Jungs. Das WIR hat keine Bedeutung mehr, seit es SIE gibt, die anderen.

Murgia malt ein typisches Bild ihrer Heimat Sardinen, sei es die christlichen Traditionen, in denen die Menschen verhaftet sind, oder die Mythen und Legenden, die Bestandteil der sardischen Kultur sind. Wo noch Geistergeschichten zur Abschreckung erzählt werden und die Osterprozession das wichtigste Ereignis des Jahres ist.

Sie zeigt, wie die Entscheidung eines Einzelnen eine ganze Gemeinschaft ins Wanken bringen kann. Und dass es manchmal gut ist, die Welt aus den Augen eines Kindes zu betrachten, und sich so Grenzen überwinden lassen. Dass Kinderfreundschaften uns ewig in Erinnerung bleiben, und man auch nach vielen Jahren noch an die Zeit zurückdenkt und sagt:

»Wir haben in derselben Straße gespielt.«

Mit ein wenig Wehmut habe ich mich kurz an meine eigene Kindheit zurückerinnert. An die Zeit, als wir als Kinder noch auf der Straße spielten und der Sommer unendlich lang schien. Hab immer wieder über ihren feinen Humor geschmunzelt.
Doch am Ende ist es nur eine kleine, feine Geschichte, in der man sich kurz an vergangene Zeiten erinnert, die ein wenig mediterranen Lebenflair versprüht. Sie ist zweifellos hervorragend geschrieben und ich habe sie gern gelesen, aber an Accabadora reicht sie nicht heran.

Klappentext

Die sardische Autorin Michela Murgia schreibt über eine Beziehung, die oft freier als das mitunter schmerzende Band der Familie, aber ebenso tief sein kann: Freundschaft.

Libellenjagd, Murmelspiele, aufgeschlagene Knie, geheime Erkundungstouren, Rituale einer Jungenfreundschaft – das sind die Sommerferien für Maurizio, Franco und Giulio. Und sie scheinen ewig wiederzukehren und unendlich lang zu sein. Aber dann geht ein Riss mitten durch das sardische Dorf, und alle, Kinder wie Erwachsene, müssen erkennen, wie brüchig ihr bisheriges friedliches Zusammenleben war. Ausgerechnet ein Priester ist es, der Feindschaft stiftet, indem er eine neue Kirchengemeinde gründet: Plötzlich gehören die Leute nicht mehr zusammen, und selbst die Kinder dürfen nicht mehr miteinander spielen. Wie soll das gehen, in einem Ort, der nur eine Piazza hat? An Ostern bei der alljährlichen festlichen Prozession kulminiert der Streit.

Doch die Jungen schlichten ihn: Mit dem gleichen kühnen Witz, der zuvor ihre wilden Streiche motiviert hat, setzen sie sich jetzt über alle Konventionen hinweg und lassen die Osterprozession zum großen Versöhnungsfest werden.

Michela Murgia überrascht uns mit einer neuen sardischen Geschichte, in der es um den Wert der Freundschaft geht, die dann besonders kostbar ist, wenn man sagen kann: »Wir haben zusammen gespielt.«

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-8031-2780-8
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Erscheinungsjahr: 22. September 2022
Übersetzung: Julika Brandestini
Seiten: 112, Taschenbuch

Über die Autorin

Michela Murgia wurde 1972 in Cabras (Sardinien) geboren. Bei Wagenbach erschienen der SALTO-Band »Elf Wege über eine Insel« sowie im Taschenbuch »Camilla im Callcenterland« und »Murmelbrüder«. Ihr Erfolgsroman »Accabadora« wurde in 25 Sprachen übersetzt und auf Deutsch bereits über 150.000 Mal verkauft. Sie starb im August 2023.

Weitere Werke

Murmelbrüder
Elf Wege über eine Insel
Faschist werden
Chirú
Camilla im Callcenterland

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Über ein.lesewesen 314 Artikel
Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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