BAJASS – Flavio Steimann

Die Geschichte ist schnell erzählt. Albin Gauch, ein desillusionierter schweizer Ermittler, der kurz vor dem Ruhestand steht, wird zu dem Mord an einem alten, kinderlosen Ehepaar gerufen, das erschlagen im Wald aufgefunden wurde. Das Bauernhaus ist durchwühlt, der einzige Knecht »schwachsinnig« und das übrige Dorf schweigt. Die einzigen Hinweise, die er hat, sind ein Mantelknopf, ein in Gips gegossener Schuhabdruck und ein Foto, auf dessen Rückseite der Name Bajass steht. (Bajass heißt im Alemannischen soviel wie Hanswurst oder Kasper.) Damit macht er sich auf die Suche nach dem Mörder, die ihn auf ein Auswandererschiff mit Ziel New York bringt.

Eine simple Geschichte, noch nicht mal ein Krimi, aber eine düstere Milieustudie. Dieses dünne Büchlein hat mir beim Lesen einiges abverlangt. Es scheint förmlich aus der Zeit gefallen – sprachlich wie auch inhaltlich. Jetzt sollte ich vielleicht sagen, dass ich ein Sprachfetischist bin. Ich mag es, wenn man die deutsche Sprache in allen seinen Regeln beugt. Und das versteht Flavio Steimann. Das Buch strotz nur so vor Schachtelsätzen, die gern mal eine halbe Seite oder mehr einnehmen. Oft musste ich darüber schmunzeln, da er es nicht hätte treffender sagen können. Dialoge sucht man in dem Buch vergeblich. Ja, das muss man mögen, sonst ist man mit diesem Buch falsch bedient.

Die Geschichte, die aus der Sicht von Gauch geschrieben ist, ist viel mehr eine Beobachtung der Zeit des Umbruchs. Ein Aussiedlerschiff, deren Passagiere unterschiedlicher Klassen mich ein wenig an die Titanic erinnerten. Arme Teufel, die versuchen, ihrem Elend zu entkommen, während auf dem Oberdeck Partys gefeiert werden. All diese Eindrücke bringt Steimann in eine gewaltige bildliche Sprache, der die Handlung untergeordnet ist.

Nach etwas der Hälfte dachte ich, ich würde das Buch nicht mögen. Jetzt, ein paar Tage später, bin ich erstaunt, wie viel von der Geschichte in mir noch arbeitet.

Klappentext

Die Schweiz, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: In jahrhundertelang kaum veränderte bäuerliche Traditionen dringt langsam, aber unaufhaltsam die Moderne ein. Eisenbahnlinien, Telegrafenmasten, Verheißungen von Freiheit. Die alte, demütige Gesellschaft scheint sich nur noch wie Aprilschnee in schattigen Talsenken zu halten – doch der kann hartnäckig sein. In kunstvoller Sprache und stimmungsvollen Bildern, die Erwartungen des Lesers immer wieder überraschend, erzählt Flavio Steimann von Albin Gauch. Gauch ist Ermittler bei der Polizeibehörde in einer kleinen Stadt und steht kurz vor dem Ruhestand. Die Angst vor einem tauben Bein plagt ihn, und er zweifelt zunehmend am Sinn seines Tuns. Da wird ein altes, kinderloses Bauernpaar im Wald erschlagen aufgefunden, das Bauernhaus ist durchwühlt, der schwachsinnige Knecht als Zeuge nicht zu gebrauchen, das Dorf weiß von nichts oder schweigt. Nur mithilfe eines Fotos, eines Mantelknopfs und eines gipsernen Schuhabdrucks stellt Gauch dem Mörder nach, unerwartet weit über die Grenzen des heimatlichen Tals hinaus, auf einem Auswandererschiff, das Kurs auf New York genommen hat. Flavio Steimann streift mit seiner Geschichte eines Namenlosen, den der Hunger aus der Heimat und als dann um die halbe Welt treibt, auch die dunklen Seiten der Schweizer Vergangenheit: Armut, Verdingkinder, Rückständigkeit. Ein Roman über die Kunst, in einer Zeit des Umbruchs die richtige Gelegenheit zu ergreifen.

Über den Autor

Flavio Steimann, geboren 1945 in Luzern, ist seit 1966 literarisch und als Theatermacher tätig und veröffentlichte Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten und Theaterstücke. Er wurde ausgezeichnet mit dem Förderpreis von Stadt und Kanton Luzern, mit dem Schweizerischen Schillerpreis und mit dem Förderpreis der Marianne und Curt-Dienemann-Stiftung Luzern. Sein Roman Bajass erschien 2014 und wurde 2020 in Luzern als Theaterfassung uraufgeführt. 2021 erschien der Roman Krumholz.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-89401-797-2
Verlag: Edition Nautilus
Erscheinungsjahr: 2014
Seiten: 128, Hardcover

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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