DER SCHLEUSER – Stéphanie Coste

Werbung, vielen Dank an Kirchner Kommunikation und austernbank Verlag für das Rezensionsexemplar.

»Ich habe die Hoffnung zu meiner Handelsware gemacht. Solange es Verzweifelte gibt, werden auf meinem Strand Hühner aufkreuzen, die goldene Eier legen. Hühner, die blöd genug sind, von besseren Zeiten am gegenüberliegenden Ufer zu träumen.«

So beginnt die Geschichte des Schleusers Seyoum, der an der Küste Libyens seine Geschäfte mit Menschen macht, die die glühende Sahara durchquert haben und nun die andere Seite des Mittelmeers erreichen wollen. Keine dreißig Jahre alt zählt er zu den einflussreichsten Männern in seinem »Business«, doch innerlich ist er tot, so scheint es.
Es soll die letzte Fahrt des Jahres werden, von der er sich hunderttausend Dollar Gewinn verspricht. Das ist alles, was für ihn zählt, die Menschen bringt er unter unwürdigen Bedingungen wochenlang in einer stickigen Lagerhalle unter, Wasser bekommen sie nur ein Mal am Tag. Was aus ihnen wird, ist ihm egal, ihn ärgert nur, dass er sein Geld mit anderen teilen muss – die ihm die maroden Boote verkaufen, den Drogendealern, korrupten Bankern und Polizisten. Zehn Jahre ist er bereits im Geschäft und unzählige Leichen gehen auf sein Konto. Jetzt entdeckt er seine Jugendliebe Madiha auf der Liste und entscheidet sich, das Boot selbst durchs Mittelmeer zu steuern.

Das höchstaktuelle Thema wird aus einer anderen Perspektive erzählt, eines menschverachtenden Mannes, der skrupellos ist, zerfressen von einer inneren Wut, die er mit Khat und Gin betäubt. Coste lässt uns in Rückblenden in Seyoums Vergangenheit blicken, woher diese Wut und dieser Hass kommen. Seyoum stammt aus Eritrea, wo seit 1993 bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, Menschen aus dem Weg geräumt werden und verschwinden. Wir erfahren, dass er bereits 10 Jahre zuvor mit Madiha flüchten wollte und warum diese Flucht scheiterte.

Dieser Roman ist schonungslos, brutal und direkt. Auf nur knapp 130 Seiten gelingt es der Autorin, uns einen tiefen Einblick hinter das System von Schleusern und Menschenhändlern zu geben und das damit verbundene Leid der Flüchtenden. Sie zeigt aber auch auf, wie dieses Dilemma entsteht, dass Menschen zu so etwas grausamen fähig sind und ihre Menschlichkeit verlieren. Diese tiefe innere Zerrissenheit wird von Kapitel zu Kapitel spürbarer und schafft eine bedrückende Atmosphäre, der man sich nicht entziehen kann. Coste will hier keine Taten entschuldigen oder rechtfertigen aber zeigen, dass hinter all dem auch eine leidvolle Vergangenheit steckt, die Wurzeln des Übels sozusagen.
Denn wenn mir diese Geschichte wieder einmal etwas zeigt, dann, dass wir das unsägliche Leid der Flüchtenden erst beenden können, wenn die Ursachen bekämpft werden.

Stellenweise liest sich das Buch spannender als ein Krimi und überrollt einen förmlich und die Wendung im letzten Kapitel hat es wirklich in sich. Dicht erzählt und sprachlich herausragend, dafür sorgt auch die tolle Übersetzung aus dem Französischen von Katharina Triebner-Cabald.

Ausgezeichnet wurde Costes Debütroman in Frankreich u.a. mit dem Prix de la Closerie des Lilas. Ich bin froh, dass ich wieder auf so einen kleinen feinen unabhängigen Verlag aufmerksam wurde, der mir mit diesem Buch fesselnde Lesestunden beschert hat.

Ich weiß, es ist kein leichtes Thema, aber das Buch bekommt eine absolute Leseempfehlung von mir.

Klappentext

Seyoum legt zur letzten Überfahrt des Jahres ab. Seine Geschäfte als Schleuser laufen glänzend. Die Not der Menschen, die zu ihm ins Boot klettern, übersteigt ihre Angst vor dem Mittelmeer. Er sieht in ihren Augen unauslöschliche Hoffnung und die Verachtung seiner Jugendliebe Madiha, die plötzlich leibhaftig vor ihm steht. Was hat damals ihre gemeinsamen Fluchtpläne durchkreuzt? Erwartet sie noch eine gemeinsame Zukunft?

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-946687-04-7
Verlag: Austernbank Verlag
Erscheinungsjahr: 1. Juli 2023
Übersetzung: Katharina Triebner-Cabald
Seiten: 130, Hardcover

Über die Autorin

Stéphanie Coste ist im Senegal und in Djibouti aufgewachsen. Ihr Debütroman wurde mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt heute in Lissabon.

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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