DIE MISSION DES KOCHS – Andrea Camilleri

Werbung, selbst gekauft.

Camilleri hat es geschafft, mich mit seinem 27. Band über den charismatischen Commissario Salvo Montalbano zu überraschen. In den letzten Bänden haderte Salvo mit dem Alter und den ersten Wehwehchen, nun aber wächst er über sich hinaus.

Wieder einmal erwacht Montalbano aus einem Traum, der wie eine böse Vorahnung auf die kommenden Tage daherkommt. Dass sich aber sein nächster Fall als schlimmster Albtraum entpuppen wird, ahnt er noch nicht.
Alles beginnt mit dem Selbstmord eines Arbeiters auf der Schiffswerft von Giovanni Trincanato. Während die Werft vor dem Ruin steht, gibt Trincanato das Geld mit vollen Händen für Frauen und Glücksspiel aus. Das weckt Montalbano Neugier und so stößt er auf ein ominöses Segelschiff, die Alcyon. Während er versucht herauszufinden, warum es auf dem Schiff unter bolivianischer Flagge keine Passagiere aber Hostessen gibt und es nur wenige Stunden im Hafen liegt, um Unmengen an Delikatessen aufzunehmen, überschlagen sich die Ereignisse. Trincanato wird auf mafiatypische Weise ermordet und Montalbano wird kurz vor seiner Pensionierung zum Zwangsurlaub verdonnert. Will man ihn jetzt endgültig loswerden? Doch irgendetwas stimmt nicht, denn sein gesamtes Team wird versetzt, ein neuer Kommissar bekommt seine Stelle und seinem Freund, dem Journalisten Nicolò, wird die Finanzpolizei in den TV-Sender geschickt. Als sich dann auch noch das FBI für die Alcyon interessiert, findet sich Montalbano in dem wohl spektakulärsten Fall seines Lebens wieder.

Ich kann es nicht anders sagen, aber mit diesem Buch hat Camilleri der gesamten Reihe eine überraschende Wendung gegeben. Von wegen altersmüder Commissario, der seine gemächlichen Aktivitäten auf ein Minimum heruntergefahren hat, seine freie Zeit auf seiner Veranda verbringt, ausgedehnte Spaziergänge am Meer liebt und der sizilianischen Küche frönt. Was Camilleri hier präsentiert, ist ein rasanter Spionagethriller mit typisch cineastischem Charakter, die sizilianische James-Bond-Variante sozusagen.

Und tatsächlich lese ich am Ende, dass die Geschichte bereits 10 Jahre zuvor als Drehbuch für einen italienisch-amerikanischen Film entstand, und vom Autor in abgeänderter Form als Montalbano-Roman veröffentlicht wurde. Dabei richtet Camilleri wie gewohnt seinen scharfen Blick auf die Missstände der Gesellschaft, wie zum Beispiel die prekären Arbeitsverhältnisse in seiner Heimat. Oder dass Luxusliner auf dem Mittelmeer Flüchtlingsboote kreuzen, ohne Hilfe zu leisten.

Vor 24 Jahren schrieb sich Camilleri mit seinem ersten Montalbano-Krimi, »Die Form von Wasser« in mein Herz, brachte mir Land und Leute nahe. Und so wurde jeder neue Band wie ein Italienurlaub für mich, Salvos Team wurde Freunden, die ich wiedertraf, ich konnte es kaum erwarten zu erfahren, was seine Haushälterin Adelina wieder Leckeres für ihn zubereitet hat oder worüber er sich mit seiner Livia wieder in die Haare bekam. All das fand ich auch in diesem Buch wieder. Ich hätte es gern etwas langsamer gelesen, da sich die Reihe dem Ende zuneigt. Doch das war unmöglich. Es war so eine fesselnde Geschichte voller überraschender Wendungen, dass ich sie nicht eine Minute aus der Hand legen konnte. Wieder hat mich Camilleri mit seinem Humor drangekriegt und seinem scharfen Blick auf seine Landleute und die dringenden Themen der Zeit. Dass in ihm weitmehr als nur ein Krimiautor steckt, hat er einmal mehr bewiesen, denn er spielt mit den Grenzen zwischen Fiktion und Realität und überrascht mit einigen Tricks.
Für mich eine der besten Geschichten aus der Reihe.

Klappentext

Giovanni Trincanato ist Alleinerbe der gleichnamigen sizilianischen Bootswerft und wirft als mondäner Playboy das Geld zum Fenster hinaus. Der Firma droht der Ruin, und Commissario Montalbano ist zur Stelle, als einer der Arbeiter sich erhängt. Kurz darauf wird Giovanni ermordet aufgefunden, zeitgleich mit der Ankunft einer mysteriösen Segeljacht im Hafen. Steht das Auftauchen des mondänen Schiffs in Zusammenhang mit Giovannis gewaltsamem Tod? Schon bald kommt Montalbano einem Komplott auf die Spur, das ihn vor neue Herausforderungen stellt: Um einem internationalen Verbrecherring das Handwerk zu legen, begibt er sich inkognito an Bord des Luxusliners – mit ungeahnten Folgen …

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-7577-0018-8
Verlag: Lübbe Belletristik
Erscheinungsjahr: 30. August 2024
Übersetzung: Rita Seuß und Walter Kögler
Seiten: 256, Hardcover

Über den Autor

Andrea Camilleri (1925–2019), in dem sizilianischen Küstenstädtchen Porto Empedocle (Provinz Agrigento) geboren, war Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur sowie langjähriger Dozent an der Accademia d’arte drammatica Silvio D’Amico in Rom. In seinem umfassenden literarischen Werk setzte er sich vornehmlich mit seiner Heimat Sizilien auseinander. Seine Romane um den beliebten Kommissar Salvo Montalbano wurden international zu Bestsellern, und seine Hauptfigur gilt weltweit als Inbegriff für sizilianische Lebensart, einfallsreiche Kriminalistik und südländischen Charme und Humor.

Kein anderer vermag es, die italienische bzw. sizilianische Seele einzufangen wie Camilleri. Er galt als kritische Stimme Italiens, scheute sich nie heikle politische und gesellschaftliche Themen anzusprechen wie Korruption, und das organisierte Verbrechen. Nicht selten bekommt es auch sein Kommissar mit der allmächtigen Mafia als Gegner zu tun und zögert nie, sich ihr entgegenzustellen. Camilleri, immer besonnen und ruhig, scheute sich auch nicht davor, sich mit dem Innenminister Salvini anzulegen.
Zeit seines Lebens hatte ein Herz für die einfachen Menschen und ist vor allem ein großer Genießer der sizilianischen Küche, was sich in Montalbano widerspiegelt.
Über 100 Bücher hat Camilleri geschrieben, allein in Italien wurden seine Bücher mehr als 20 Millionen Mal verkauft, außerdem wurden sie in etwa 30 Sprachen übersetzt. Etliche Romane wurden verfilmt.
In seinem Testament hat er verfügt, dass ein Montalbano-Krimi, den er bereits vor 20 Jahren geschrieben hat, erst postum veröffentlicht werden darf. Wir dürfen also gespannt sein.
Nach Umberto Eco ist mit Andrea Camilleri einer der größten Literaten Italiens gestorben.

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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