Lohnt es sich, einen 10 Jahre alten ach so hoch gelobten Bestseller zu demontieren?
In der Kleinstadt Aurora verschwand vor 33 Jahren die 15-jährige Nola. Nun wird ihre Leiche gefunden, und zwar im Garten des berühmten Schriftstellers Harry Quebert. Er wird zum landesweiten Skandal, denn er gibt zu, damals ihr Geliebter gewesen zu sein, obwohl er viele Jahre älter war als sie. Die Anklage lautet Mord, denn bei dem Skelett wird Qs Manuskript gefunden. Marcus Goldman, sein ehemaliger Schüler und einziger Freund hält zu ihm und will seine Unschuld beweisen. Goldman, inzwischen selbst ein erfolgreicher Schriftsteller, hat eine Schaffenskrise und beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln, da er von Qs Unschuld überzeugt ist. Und sein Verleger wittert das große Geschäft.
Dicker schreibt flüssig und gut lesbar, weshalb ich das Buch mit über 700 Seiten in Kürze verschlungen hatte. Seine Zeitsprünge zwischen 2008 und 1975 gelingen mühelos, so dass wir Leser immer mitten im Geschehen sind.
Aber es gibt viel, das mich gespalten zurücklässt. Auch wenn die Ausgangslage vielversprechend war, hat mich mit der Zeit immer mehr genervt. Was kriegen wir hier eigentlich? Eine zweifelhafte Lolita-Liebesgeschichte, ein Whodunnit-Krimi in einer amerikanischen Kleinstadt von einem Schweizer und einen Seitenhieb auf die Verlagsbranche wie man Bestseller macht. Wir suhlen uns ein wenig in der »Schriftstellerkrankheit«, erhalten Schreibtipps in Form von Kalendersprüchen und müssen uns mit einer Menge Figuren rumschlagen, die entweder stereotyp, platt oder überzeichnet sind, bestenfalls noch angestrengt komisch, manche sogar überflüssig. Ich denke da an Marcus’ Mutter, die ich am liebsten an die Wand geklatscht hätte und die nichts für die Geschichte getan hat. Und sprachlich entgleist er ab und zu auf das Niveau einer Vorabendserie.
Kleine Kostprobe?
»Oh, allerliebster Harry, ich bin ja so glücklich!«
»Meine Nola, allerliebste Nola, Nola, meine Liebe! … Ich liebe Dich, ich liebe Dich über alles. Verlass mich nicht. Wenn Du stirbst, sterbe auch ich. Du bist das Einzige in meinem Leben, was zählt. Vier Buchstaben: N-O-L-A.«
Dieses ganze Gesülze zwischen Q und Nola war so ziemlich das Einzige, das wir über die Liebe erfahren, warum und wieso sie zu seiner Muse wird – keine Ahnung.
Erscheint mir wie eine riesige Selbstbeweihräucherung, denn der Autor wird nicht müde, seine Nebenfiguren permanent wiederholen zu lassen, wie genial und großartig doch die beiden Autoren sind. Es mag viel über die Dummheit der Figuren aussagen, aber beim Lesen nervt es. Übrigens wie alle seine Redundanzen und davon gibt es viele. Hätte man den zwanghaft überkonstruierten Plot um mindestens 200 Seiten gekürzt, wäre es leichter zu ertragen gewesen.
Die einzig wahre Enthüllung an dem Buch mag für manche sein, dass es vor Augen führt, wie Bestseller gemacht werden. Und das hat erstaunlich viel mit der Realität zu tun. Reichlich mit der Werbetrommel Krawall machen und Millionen fallen darauf rein – und das, bevor auch nur eine einzige Zeile je gelesen wurde. Ja, so funktioniert der Literaturbetrieb und deshalb schlagen bei mir alle Alarmglocken an, wenn Bücher Vorschusslorbeeren bekommen und mit der Gießkanne an Vorableser verteilt werden.
Tja und so sind Dickers Voraussagungen eingetroffen, auch aus seinem Buch wurde ein Bestseller gemacht!
Ja, man kann einige Wendungen in einem Krimi konstruieren. Aber hier waren es mir zu viele. Am Ende haut uns Dicker eine vermeintliche Wahrheit nach der anderen um die Ohren, gibt auf den letzten 200 Seiten noch mal richtig Gas, dass ich fast erschlagen wurde von dem Tempo und den Enthüllungen. Aber letztlich war es mir auch egal, wer sie nun warum umgebracht hat, und ehrlich – ich habs auch schon wieder vergessen.
Zum Schluss noch ein Kalender-Schreibtipp von Q oder Dicker, je nachdem wie man es sieht:
»Ein gutes Buch, Marcus, ist ein Buch, bei dem man bedauert, dass man es ausgelesen hat!«
Stimmt, trifft nur hier nicht zu!
Klappentext
Es ist der Aufmacher jeder Nachrichtensendung. Im Garten des hochangesehenen Schriftstellers Harry Quebert wurde eine Leiche entdeckt. Und in einer Ledertasche direkt daneben: das Originalmanuskript des Romans, mit dem er berühmt wurde. Als sich herausstellt, dass es sich bei der Leiche um die sterblichen Überreste der vor 33 Jahren verschollenen Nola handelt und Quebert auch noch zugibt, ein Verhältnis mit ihr gehabt zu haben, ist der Skandal perfekt. Quebert wird verhaftet und des Mordes angeklagt. Der einzige, der noch zu ihm hält, ist sein ehemaliger Schüler und Freund Marcus Goldman, inzwischen selbst ein erfolgreicher Schriftsteller. Überzeugt von der Unschuld seines Mentors – und auf der Suche nach einer Inspiration für seinen nächsten Roman – fährt Goldman nach Aurora und beginnt auf eigene Faust im Fall Nola zu ermitteln …
Bibliografische Angaben
ISBN: 978-3-492-30550-3
Verlag: Piper Verlag
Erscheinungsjahr: 2014
Übersetzung: Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg
Seiten: 736, Taschenbuch
Über den Autor
Joël Dicker wurde 1985 in Genf geboren. Seine Bücher »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert« und »Die Geschichte der Baltimores« wurden weltweite Bestseller und über sechs Millionen Mal verkauft. Für »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert«, das in Frankreich zur literarischen Sensation des Jahres 2012 wurde und dessen Übersetzungsrechte mittlerweile schon in über 30 Sprachen verkauft wurden, erhielt Dicker den Grand Prix du Roman der Académie Française sowie den Prix Goncourt des Lycéens. Mit »Das Verschwinden der Stephanie Mailer« konnte er an seine Erfolge anknüpfen und schaffte es ebenfalls auf die Bestsellerlisten.
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