LIED DER WEITE – Kent Haruf

Nur wenige Autostunden von Denver entfernt liegt die fiktive Stadt Holt, in die uns Haruf auf ergreifende Weise in das harte und oftmals einsame Leben der Bewohner in den Great Plains – der Prärie Colorados eintauchen lässt.
Die 17-jährige Victoria ist schwanger, der Vater des Kindes inzwischen verschwunden und ihre verständnislose Mutter setzt sie kurzer Hand vor die Tür. Victorias erste Anlaufstelle ist ihre Lehrerin Maggie, die sie zunächst aufnimmt. Doch ihr demenzkranker Vater wird zur Gefahr für Victoria und so sucht sie nach einer dauerhaften Bleibe. Maggie ist sicher, dass die beiden McPheron-Brüder zwar nicht die beste Wahl aber eine Chance für alle Beteiligten sind. Aber kann das gut gehen, ein junges Mädchen bei zwei alten Männern, die nie eine Frau hatten und zurückgezogen auf ihrer Rinderfarm leben? Die Viehzüchter haben zwar Ahnung von ihren Tieren, aber wenig Erfahrung mit Menschen, und schon gar keine mit jungen Frauen. Haruf legt ihnen einen besonderen Alltagshumor in den Mund, dass ich oft am Lachen war.
Maggies Kollege Tom Guthrie und seine Söhne Ike und Bobby müssen sich damit abfinden, dass sich die Mutter der beiden … aufgrund ihrer Depression immer mehr zurückzieht. Während Tom Guthrie es als Lehrer mit einem schwierigen Schüler zu tun hat, dessen Eltern ihm das Leben schwermachen, bleiben die Jungs oft sich selbst überlassen. Es mangelt ihnen nicht an Liebe seitens ihres Vaters, aber sie versuchen, die Leere auf ihre Weise zu kompensieren und geraten dabei in so manche Schwierigkeiten.

Haruf hat eine besondere Gabe, einem das Land und ihre Bewohner ans Herz zu legen. Warmherzig und einfühlsam schreibt er aus verschiedenen Perspektiven und lässt uns gleichzeitig schonungslos an deren Leben teilhaben, mit all ihren Sorgen und Nöten.

Dafür findet er mal humorvolle Worte, mal sind sie sehnsuchtsvoll und rührend. Aber am Ende sind es seine Figuren, denen man sich sehr nahe fühlt und die die Atmosphäre in seinem Roman ausmachen. Man hofft mit ihnen, dass sich alles zum Guten wenden möge. Die unbeholfenen, eigenbrötlerischen McPheron-Brüder mit ihren großen Herzen haben mir dabei besonders angetan.
Harufs Töne sind leise und ohne künstlich konstruierte Spannungsbögen, so, als würde das Leben selbst seine Geschichten schreiben. Dabei geht er oft detailverliebt vor und wir müssen, genau wie Ike und Bobby, bei der Obduktion eines Pferdes zusehen. Auch die depressiven Zeiten der Mutter schildert er sehr authentisch, ohne nur ein Mal die Krankheit zu benennen. So malerisch schön, wie er die Landschaft der Great Plains beschreibt, so brutal erscheinen auch seine Szenen der Gewalt und des Todes – ohne jedoch reißerisch zu wirken. Das Landleben in Holt ist weder kitschig noch romantisch und doch mit einer großen Portion Herz.
Wie schon in seinem ersten Roman »Das Band, das uns hält« bleibt ein Teil von mir in Holt zurück. Und deshalb wiederhole ich mich gern: Es menschelt gar arg in Harufs Geschichten.
Kent Haruf verstarb leider schon 2014 und hat nur sechs Romane hinterlassen. »Lied der Weite« erschien erstmals 1999 und wurde 2018 im Diogenesverlag neu aufgelegt.

Klappentext

Victoria, siebzehn und schwanger, wird von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt. Da überredet ihre Lehrerin Maggie die Brüder McPheron, zwei alte Viehzüchter, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Ein erst widerwilliger Akt der Güte, der das Leben von sieben Menschen in der Kleinstadt Holt in Colorado umkrempelt und verwandelt.

Holt, eine Kleinstadt in Colorado. Die siebzehnjährige Victoria Roubideaux ist schwanger. Den Vater des Kindes, eine Sommerliebe, kennt sie kaum. Aber sie will das Kind unbedingt zur Welt bringen, auch wenn ihre Mutter sie deswegen aus dem Haus geworfen hat. Durch die Vermittlung ihrer Lehrerin Maggie Jones kommt Victoria auf der Farm von Raymond und Harold McPheron unter, zwei rauhbeinigen, unverheirateten alten Viehzüchtern, die mehr Ahnung von Kühen als von Menschen haben. Doch je größer Victorias Bauch wird, desto weniger klar wird gleichzeitig, wem mit diesem Arrangement mehr geholfen ist: dem Mädchen oder den alten Herren. Es ist möglich, die Einsamkeit zu durchbrechen – auch für Maggie, die ihren betagten Vater pflegt, auch für ihren Lehrerkollegen Tom Guthrie und seine beiden Söhne, die von ihrer Mutter verlassen wurden. Davon erzählt auf ergreifende Weise Kent Harufs bekanntester Roman.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-257-07017-0
Verlag: Diogenes Verlag
Erscheinungsjahr: 2018
Übersetzung: Rudolf Hermstein
Seiten: 377, Hardcover

Über den Autor

Kent Haruf, geboren 1943 in Colorado, war ein amerikanischer Schriftsteller. Alle seine sechs Romane spielen in der fiktiven Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado. Er wurde unter anderem mit dem Whiting Foundation Writers’ Award, dem Wallace Stegner Award und dem Mountains & Plains Booksellers Award ausgezeichnet. Sein letzter Roman, ›Unsere Seelen bei Nacht‹, wurde zum Bestseller und mit Jane Fonda und Robert Redford in den Hauptrollen verfilmt. Kent Haruf starb 2014.

Alle Werke

Ein Sohn der Stadt (1990)
• Lied der Weite / Flüchtiges Glück (1999)
• Abendrot (2004)
• Kostbare Tage (2013)
• Unsere Seelen bei Nacht (2015)
Das Band, das uns hält (2023)

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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