ABGRUND – Yrsa Sigurdardóttir

Kann man sich im Regierungssitz Reykjavíks eine bessere Aussicht vorstellen als den Blick auf den Galgenberg, einer alten Hinrichtungsstätte im Lavafeld? Kommissar Huldar und seine Vorgesetzte Erla haben alle Hände voll zu tun, die dort erhängte Leiche vor dem ausländischen Staatsbesuch geheimzuhalten.
Auch wenn die Ermittler zunächst von einem Selbstmord ausgehen, so wissen wir Leser*innen bereits, dass es ein Mord war, denn wir begleiten Helgi, den jungen Immobilienmakler zu seiner Hinrichtung. Erleben live, wie ihm ein Zettel an die Brust genagelt und er erhängt wird. Zusammen mit der schaurigen Gegend wird es gleich zu Beginn richtig spannend.
Kurz darauf findet die Kinderpsychologin Freyja in der Wohnung des Toten einen vierjährigen Jungen. Siggi, der keine Ahnung hat, warum er dort ist, will nur zu seiner Mam. Doch die Suche nach den Eltern ist schwierig, eine Verbindung zu dem Toten gibt es nicht.
Hegis Freunde, mit denen er noch am Mordabend gefeiert hat, bekommen über ihre geheime Chatseite das Video von Hegis Hinrichtung zugespielt, was eigentlich nicht sein kann, da die Seite nur für die Clique zugängig ist.

Es ist bereits der 4. Fall, den Huldar und Freyja gemeinsam aufklären. Ich kenne zwar die ersten drei Teile nicht, hatte aber nicht den Eindruck, etwas verpasst zu haben. Auch wenn es nicht mein erstes Buch der Autorin ist, allerdings wird es hier mal nicht übersinnlich.
Ich mag den ruhigen und flüssigen Schreibstil der Autorin sehr und finde, dass sie viel Wert auf ihre Figuren gelegt hat. Erla, Huldars Vorgesetzte ist echt ein Ekel, anders kann ich es nicht sagen und die neue Praktikantin ein ziemlich vorlautes Ding. Die Geschichte wird also sehr lebendig und tiefgründig. Und die Autorin lässt sich Zeit und überrascht mich immer wieder mit ihren Wendungen.

Wenn ich da nicht so ein Gefühl gehabt hätte. Und das hat mich nicht betrogen. Hier wird wieder sehr deutlich, dass sich eine intensive Figurenentwicklung bezahlt macht, und man seine Leser*innen damit bestens hinters Licht führen kann. Denn sie zeigt, dass hinter der Fassade oft menschliche Abgründe lauern. Dabei ist häusliche Gewalt nur eins der ernsten Themen, die Sigurdardóttir in ihrem Thriller anspricht. Aber auch der Druck, unter dem die Kommissare arbeiten müssen und das nicht so prickelnde Arbeitsklima im Kommissariat lässt sie uns hautnah spüren.
An manchen Stellen ist etwas Geduld gefragt, da uns die Autorin an allen Ermittlungsarbeiten teilhaben lässt und auch den persönlichen Problemen von Huldar und Freyja, zwischen denen es wohl erneut knistert.
Letztlich war alles stimmig und sauber aufgelöst. Empfehlen kann ich den Thriller allen, die es gern ruhiger haben wollen, aber auf einen konstanten Spannungsbogen und tiefgründige Charaktere Wert legen. Aber zimperlich sollte man nicht sein.

Klappentext

Ein Toter, erhängt auf einer alten Hinrichtungsstätte in einem Lavafeld nahe des Präsidentensitzes. Eine ominöse Nachricht, mit einem Nagel in dessen Brust gerammt. Ein kleiner Junge, den man schließlich in der Wohnung des Toten findet. Schwer traumatisiert. Ohne jegliche Erinnerung.

Band 4 der Erfolgsreihe: Kommissar Huldar und Psychologin Freyja auf der Spur eines schwer zu fassenden Verbrechens.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3442-75847-0
Verlag: btb Verlag
Erscheinungsjahr: 27. April 2020
Übersetzung: Tina Flecken
Seiten: 400, Klappenbroschur

Über die Autorin

Yrsa Sigurdardóttir, geboren 1963, ist eine vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin, deren Spannungsromane in über 30 Ländern erscheinen. Sie zählt zu den »besten Kriminalautoren der Welt« (Times). Sigurdardóttir lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Reykjavík. Sie debütierte 2005 mit »Das letzte Ritual«, einer Folge von Kriminalromanen um die Rechtsanwältin Dóra Gudmundsdóttir und begeisterte ebenso mit ihrer Serie um die Psychologin Freyja und Kommissar Huldar von der Kripo Reykjavík. Ihr Thriller »Schnee« verkaufte sich über 60.000 Mal und war monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Zuletzt erschien von ihr der Thriller »Nacht«.

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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