TURMSCHATTEN – Peter Grandl

Grandl Debüt, das ursprünglich mal als Drehbuch geplant war, erschien 2020 mitten im Lockdown, aber auch die Verlagswelt war anfänglich zögerlich. Dann wurde er unter den Buchbloggern gehypt und 2022 hat Piper das Buch neu überarbeitet. Und nun wurde es als Serie von @Paramountplus abgedreht. Ein beachtlicher Werdegang für ein Buch, das die rechtsextremistische Szene in den Mittelpunkt des Geschehens stellt.

Die eigentliche Story ist schnell erzählt. Drei Neonazis werden von Ephraim Zamir als Geiseln in einem Turm gefangengehalten. Vor laufender Kamera gibt er ihnen noch die Möglichkeit, sich für ihre perfiden Taten und einem Mord zu rechtfertigen. Diese Aktion wird live im Internet gestreamt und die Zuschauer können über Leben und Tod abstimmen. Auch Fernsehsender übertragen die Geiselnahme live und die Polizei scheint immer einen Schritt hinterher zu sein.
Ausgehend vom Jahr 1945 bewegen wir uns durch die Historie, die bis in die heutige Zeit tiefe Spuren von Rassismus, Antisemitismus, Hass und Tod hinterlässt. Selbst der Turm hat eine unrühmliche Vergangenheit, denn er diente im 2 Weltkrieg als Bunker. Welches Verbrechen sich vor ihm abspielte, solltet ihr selbst lesen.

In vielen Perspektivwechseln zu verschiedenen Zeiten stellt uns Grandl sein Figurenensemble vor. Diese verknüpft er mit einer Vielzahl historischer Ereignisse, um deren Werdegang authentisch darzustellen. Und an vielen Stellen flammten unschöne Erinnerungen in mir auf, ob das nun 1992 die Ausschreitungen in Rostock waren, der Anschlag beim Oktoberfest 1980, das Erstarken der NPD, oder der geplante Anschlag auf die Münchner Synagoge. Grandl erinnert uns an jedes einzelne unrühmliche Ereignis in unserer Geschichte. Und stellenweise ist es harter Tobak, wenn wir uns in der Gedankenwelt der Neonazis befinden. Seine tiefgründige Recherche verknüpft er mit seiner fiktiven Story, die viele persönliche Schicksale miteinander verwebt.

Und genau hier liegt Gradl Stärke, er versteht es zu zeigen, dass seine Charaktere, egal ob böse oder gut, immer zwei Seiten haben. Ist es also wirklich so einfach, über einen Menschen zu urteilen? Auch ich schwankte zwischen Verständnis (ich distanziere mich aber deutlich von rechtem Gedankengut) und Ablehnung, diese innere Auseinandersetzung war vom Autor sicher bewusst herbeigeführt.
Doch es geht um einiges mehr in seinem Thriller. Wie weit dürfen Medien in ihrer Berichterstattung gehen? Wann wird es voyeuristisch und schamlos? Aber auch die Anonymität im Internet, die viele zu vorschnellen, unüberlegten Urteilen veranlasst, gibt einiges zu denken.

Durch seinen flüssigen Schreibstil fliegt man quasi durch den Wälzer, leider haben mich aber auch die Vielzahl der angesprochenen Themen irgendwann erschlagen. Und überfliegt man die Reaktionen im Netz, sind genau diese Längen der häufigste Kritikpunkt. Letztlich hatte ich das Gefühl, ich habe eine 600-seitige TV-Serie gelesen, die szenisch sehr detailliert ausgearbeitet und thematisch fast überfüllt war.

Fazit: Wer Politthriller mag, ist hier sicher richtig. Mir war es an manchen Stellen zu langatmig und mit zu vielen Klischees behaftet. Ein gutes Buch mit einigen Schwächen, das unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält. Und wer es lesen will, sollte auf den nicht spoilerfreien Klappentext verzichten.

Klappentext

Ein spektakuläres Verbrechen hält eine Kleinstadt in Atem: Drei Neonazis werden in einem Turm gefangen gehalten. Ephraim Zamir, der Geiselnehmer, konfrontiert sie in einem Verhör mit ihren Gewalttaten und überträgt das Ganze live im Netz. Die Zuschauer sollen abstimmen: freilassen oder hinrichten? Es ist der Beginn eines weltweiten Medienspektakels. Für die Polizei ist es ein Wettlauf gegen die Zeit. Womit sie nicht rechnen: Sie haben es mit einem ehemaligen Mossad-Agenten zu tun, der nicht bereit ist zu verhandeln.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3492-06321-0
Verlag: Piper Verlag
Erscheinungsjahr: 28. Juli 2022
Seiten: 592, Klappenbroschur

Über den Autor

Peter Grandl, geboren 1963, ist Drehbuchautor und Chefredakteur eines Onlinemagazins. Außerdem engagiert er sich ehrenamtlich bei den Organisationen German Dream und Schule ohne Rassismus.

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Über ein.lesewesen 273 Artikel
Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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