Was für eine geniale Idee! Stell dir vor, von heute auf morgen hast du kein Geld mehr auf der Bank. Du hast Schulden gehabt? – machts nichts, denn die sind jetzt auch weg. Und das geht allen Menschen auf der Welt so. Das Einzige, was noch zählt, ist Bargeld, Gold und Kryptowährung. Während Politiker und Finanzexperten daran arbeiten, die Lage unter Kontrolle zu kriegen, versuchen sich die Menschen mit der neuen Situation zu arrangieren.
Wir erleben die Geschichte aus fünf Perspektiven. Martin – ein ambitionierter Journalist, der glaubt, mit einer seriösen Berichterstattung das Chaos zu verhindern, den Menschen Perspektiven aufzuzeigen. Seine Exfreundin Karen, die sich als aufstrebende Influencerin bisher nur um rosa Lippenstift und kostenlose Übernachtungen in Luxushotels geschert hat. Georg, IT-Administrator einer Bank, dem das Darknet und die Haker-Szene vertraut sind, und der sich dort auf die Suche nach Antworten über Tabular Rasa macht. Sandra, eine reichlich überforderte Finanzministerin. Und Fred Macintosh, skrupellos und dank Kryptowährung steinreich, der die allgemeine Verunsicherung dazu nutzt, seine eigenen Pläne umzusetzen.
Irols Schreibstil ist locker und leicht, mit einer gehörigen Portion an Humor. Ihm fehlt es nicht an witzigen Pointen oder gelungenen Vergleichen. Die Charaktere sind zum großen Teil glaubwürdig in ihren Handlungen, allerdings vermisse ich bei einigen eine situationsbedingte Entwicklung. Die Geschichte spielt hauptsächlich in Berlin, gibt aber hin und wieder Einblicke, wie sich die Situation in anderen Ländern auswirkt. Auch einzelne Schicksale werden beleuchtet, ob und wie sie mit den neuen Lebensumständen umgehen. Auch wenn ich keine Ahnung von Finanzpolitik oder Blockchain habe, fühlte ich mich über weite Strecken gut unterhalten und hatte den Eindruck, dass hier sehr viel, sehr gut recherchiert wurde.
Was für ein Potenzial in dieser Geschichte steckt. Auf nur 433 Seiten versucht der Autor, all das glaubwürdig und bildhaft zu verarbeiten.
Aber nach einem Drittel hätte ich am liebsten abgebrochen. Was so vielversprechend begann, verlor sich in trivialen Beschreibungen, Infodumping und langweiligen Redundanzen. Um die Spannung aufrechtzuerhalten, hätte die Geschichte größere Konflikte gebraucht. Helden müssen vor übermächtigen Herausforderungen stehen, damit sie zu Helden werden. Mit Martin, der hätte einer sein können, wurde ich nicht wirklich warm. Georg hingegen war um Längen interessanter angelegt, hatte aber zu wenig Raum in der Geschichte. Karen blieb ein langweiliges, farbloses Jetset-Sternchen, deren Potenzial – übers Internet Einfluss auszuüben – total vernachlässigt wurde. Und die Finanzministerin bleibt begründungslos unterwegs auf der Strecke.
Um so eine Story zu schreiben, die eine unglaublich globale Veränderung beschreibt, kann man nur versuchen, diese aus einigen ausgewählten Schicksalen zu zeigen, dennoch darf man das Große und Ganze nicht aus den Augen verlieren. Glaubwürdigkeit bedeutet logische, nachvollziehbare Entwicklungen zu kreieren, was meines Erachtens nicht zu hundert Prozent gelungen ist und mich mit einem schalen Gefühl zurückgelassen hat. Mag der Autor auch noch so sehr an das Gute im Menschen glauben, in einer solchen veränderten Realität muss sich eine enorme Schere zwischen Gut und Böse auftun, das war bestenfalls angerissen. Insgesamt hätte es mehr und größeres Konfliktpotenzial gebraucht, viele Konflikte kommen gar nicht oder viel zu spät. Mittendrin geht dem Roman gehörig die Luft aus, wird aber – tröstet euch – im letzten Drittel wieder stärker. Hätte man hier massiv gekürzt, hätte man wesentlich mehr atmosphärische Dichte und somit Spannung erzeugen können.
Erst am Ende erfahre ich, dass es sich um den 1. Teil der Geschichte handelt. Darauf hätte man vor dem Kauf bereits hinweisen müssen. Der Teil eines Buches muss in sich abgeschlossen sein und darf nicht einfach unterbrochen werden. Das war meines Erachtens hier aber der Fall. Durch den netten Kontakt mit Gregg bin ich aber auch die Fortsetzung gespannt.
Klappentext
Fassungslos starrt Martin Heller auf den Bildschirm des Bankautomaten. Sein Konto ist leer. Was er für einen ärgerlichen Irrtum hält, entwickelt sich schnell zu einer internationalen Krise. Denn er steht damit nicht allein. Weltweit wurden die Bankkonten auf Null gesetzt.
Alle Guthaben sind weg. Die Schulden auch. Politiker und Finanzexperten arbeiten daran, die Lage in den Griff zu bekommen. Doch die Grundpfeiler des menschlichen Zusammenlebens bröckeln. Und ein skrupelloser Unternehmer, der mit Kryptowährungen ein Vermögen angehäuft hat, nutzt das aufkommende Chaos, um seine eigenen Pläne umzusetzen.
Über den Autor
Gregg Irol, geboren an der Küste, liebt Geschichten in jeder Form. Er hat Literaturwissenschaften studiert, Kurzfilme gedreht und Computerspiele entwickelt. Er beschäftigt sich mit Digitalisierung, Kryptowährungen und der Zukunft unserer Gesellschaft. Die Kurzgeschichte #BackToZero wurde unter 300 Einreichungen für die Anthologie „Magic Future Money“ ausgewählt. In seinem Debütroman „Tabula Rasa – Alles auf Null“ hat er sich ausführlich mit der Frage beschäftigt, was passieren würde, wenn alle Konten weltweit auf Null gesetzt werden würden. Nach vier Jahrzehnten in Berlin lebt er nun mit seiner Familie in Schleswig-Holstein.
Dieses Buch wurde auch von franzosenleser besprochen. Hier geht´s zum Beitrag: Tabula Rasa – Gregg Irol
Bibliografische Angaben
ISBN: 978-3-7546-4978-7
Self Publishing
Erscheinungsjahr: 2022
Seiten: 534 Taschenbuch
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