THE SHARDS – Bret Easton Ellis

Werbung. Herzlichen Dank an den Verlag Kiepenheuer & Witsch für das Rezensionsexemplar.

»Unsere Chancen schienen gut zu stehen: Wir waren jung und lebendig und stark, und nichts konnte uns verletzen, und es gab nichts, was diese Wahrnehmung getrübt hätte, schon gar kein Märchen, das von unserem Platz auf der Welt handelte, und wir ignorierten die störenden Gedanken an Schicksal und Schrecken und grausamen Tod, die uns aus der goldenen Kuppel der Jugend hätten entführen können, unter der wir lebten.« S.415

Eine gelangweilte Eliteclique verbringt ihren letzten Sommer vor dem Abschlussjahr an der Buckley Highschool mit Poolpartys, zugedröhnten Wochenenden und Sex. Auch wenn zu Beginn alles makellos erscheint, streut der Ich-Erzähler Bret Andeutungen ein, die darauf hinweisen, dass dieser scheinbar endlose, unbeschwerte Sommer bald ein Ende haben wird, was zu unmittelbaren Spannung führt. Er sieht in dem neuen Mitschüler Robert Mallory eine Gefahr und einen Zusammenhang mit dem Serienmörder »der Trawler«. Doch Robert gelingt es, Teil dieser eingeschworenen Gemeinschaft zu werden, keiner glaubt Brets Zweifeln. Benebelt von Drogen und Beruhigungsmitteln ist er sich am Ende auch nicht mehr sicher.

Ich versuchte mich mit dem üblichen Mantra zu beruhigen – du hörst Dinge, die gar nicht da sind –, aber diesmal war das Signal zu stark, um es zu ignorieren, denn es pulsierte und sandte fiebrige Wellen der Panik aus.

Es war mein erstes Buch von Bret Easton Ellis und ich habe auch American Psycho nicht gesehen. Aber das, was ich hier gelesen habe, ist ein Meisterwerk.

Ich glaube, man muss das Buch als Gesamtkunstwerk betrachten, das aus so vielen Details zusammengesetzt ist, dass ich es nur schwer sortieren kann. Ich wünschte, so manch anderer Autor hätte die Gabe, mich mit seinem Erzählstil so einzusaugen, wie Bret Easton Ellis es ab der ersten Seite geschafft hat. Es nur als Roman zu sehen, wäre zu einfach. Schon die latente Bedrohung, die von Beginn an im Raum schwebt, treibt die Spannung auf das Niveau eines Psychothrillers, denen er am Ende einige Slasher-Momente hinzufügt. Zugleich ist es Coming-of Age, Highschoolroman und Erotik. Nichts davon ist trivial oder abgenutzt.

Die Geschichte, die auf klischeehaftem Fundament zu stehen scheint, wird eingerahmt von angeblich biografischen Erinnerungen des unzuverlässigen Erzählers Bret Ellis, verwoben mit realen Begebenheiten und Verweisen zu Ellis’ ersten Roman »Unter Null«. Hier manipuliert der Autor den Leser und man fragt sich ständig, wo die Grenzen der Autofiktionalität sind. Das ging so weit, dass ich mich über einiges schlaumachen musste. Und tatsächlich bin ich auf reale Ereignisse gestoßen, die Ellis hier verarbeitet hat.
Eine wirkliche Handlung wird man hier vergeblich suchen, der Roman lebt eher durch detailverliebte Schilderungen der 80er Jahre, Playlists, Kinofilme, angesagte Markenklamotten, Statussymbole, das ständig lässige Cruisen auf den Boulevards, waren für mich wie Flashbacks in meine Jugend. (Ellis ist gerade mal 2 Jahre älter als ich.) Sie erinnerte mich ständig an Miami Vice und Denver Clan. Hat mir hier was gefehlt, habe ich mich gelangweilt? Nicht eine Sekunde.
Doch das Eigentliche versteckt Bret Easton Ellis gekonnt hinter seinen Figuren. Nicht, dass eine davon besonders sympathisch wäre, aber in der Kombination ergibt es ein Bild der »Rich Kids« der frühen 80er. Thom, der gutaussehende Quaterback, der mit Susan, dem schönsten Mädchen zusammen ist. Susan, die in ihrer makellosen Abgestumpftheit für Bret begehrenswert scheint. Doch Bret ist augenscheinlich mit Debbi zusammen, die ständig auf Koks ist und Valium braucht, um wieder runterzukommen. Doch sie ist nur ein Alibi für Bret, der eigentlich schwul ist, oder zumindest bi, ganz genau weiß er es auch nicht. Und ja, mit 17 hat er nur Augen für Knackärsche und sonnengebräunte Sixpacks. Doch Brets eigentliche Liebe ist Matt, ein dauerbekiffter Mitschüler, der dem Serientäter zum Opfer fällt. Und wer expliziete homoerotische Sexszenen nicht aushält, denn davon gibt es reichlich, sollte das Buch gar nicht erst lesen. Oder die grausamen Details der Morde, die bis ins Detail geschildert werden.

Aber was genau versteckt er hinter diesem Hollywoodtraum? Nichts – eine gähnende Leere. Die Ästhetik der Taubheit, der Reiz des Illegalen, Paranoia, Einsamkeit,

Klingt alles ziemlich abgefahren? Ist es auch! Ich könnte jetzt noch weiter schwadronieren, könnte mir Superlative aus den Fingern saugen und Lobpreisungen an den Autor verfassen. Mach ich nicht, denn mir ist klar, dass man das Buch lieben oder hassen wird. Für mich war es ein grandioses Erlebnis, das mir noch lange durch den Kopf geistern wird.

Klappentext

Bret Easton Ellis‘ meisterhafter neuer Roman erzählt eine traumatische Geschichte: Während seiner eigenen Schulzeit war ein Serienmörder in L.A. eine Bedrohung für die Jugendlichen.

Der siebzehnjährige Bret ist in der Oberstufe der exklusiven Buckley Prep School, als ein neuer Schüler auftaucht. Robert Mallory ist intelligent, gutaussehend und charismatisch und zieht Bret magisch an. Bret ist sich sicher, dass Robert ein düsteres Geheimnis hat, und kann dennoch nicht verhindern, dass Robert Teil seiner Freundesgruppe wird. Als der Trawler, ein Serienmörder, der Jugendliche auf bestialische Weise umbringt, immer näher an ihn und seine Clique heranrückt, gerät Bret zunehmend in eine Spirale aus Paranoia und Isolation. Doch wie zuverlässig ist Bret als Erzähler?
»The Shards« ist eine faszinierende Mischung aus Fakten und Fiktion, aus Realität und Fantasie, die auf brillante Weise das emotionale Gefüge von Brets Leben als Siebzehnjähriger auslotet – Sex und Eifersucht, Besessenheit und mörderische Wut. Fesselnd, raffiniert, spannend, eindringlich und oft düster-komisch – »The Shards« ist ein unnachahmliches Meisterwerk.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-462-00482-3
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr: 17. Januar 2023
Übersetzung: Stephan Kleiner
Seiten: 736, Hardcover

Über den Autor

Bret Easton Ellis wurde am 7. März 1964 in Los Angeles geboren und wuchs im Stadtteil Sherman Oaks auf. Er besuchte die private Buckley School und begann 1986 ein Musikstudium am Bennington College in Vermont. Schon während seiner High-School-Zeit bis in die Anfänge der 80er Jahre spielte Ellis Keyboard in diversen New-Wave-Bands und wollte ursprünglich Musiker werden. Im Laufe des Studiums zog es ihn jedoch immer mehr zum Schreiben, trotz anhaltender Begeisterung für Musik. Mit 21 Jahren veröffentlichte Ellis das Debüt Unter Null und zog zwei Jahre später nach New York City. Seit 2006 lebt er wieder in Los Angeles, in der Nähe von Beverly Hills.

Werk

Seiner Aussage zufolge, hat Bret Easton Ellis nie mit etwas anderem seinen Lebensunterhalt bestritten als mit dem Schreiben. Bereits als Student schrieb er den Erfolgsroman Unter Null. Er arbeitete 5 Jahre daran, bis er die endgültige Fassung Joe McGinniss zeigen konnte, den er als Leiter eines Schreibkurses zum Literarischen Journalismus am Bennington College kennen gelernt hatte. Mit seinem dritten Buch American Psycho avancierte Ellis endgültig zu einem der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart und zum Kultautor für eine ganze Generation. Bei seinem Erscheinen wurde es kontrovers aufgenommen und einige Leser forderten gar ein Verbot. Heute gilt der Roman als Ellis‘ Hauptwerk und ist inzwischen auch Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten.
Charaktere seiner Bücher sind oftmals junge wohlhabende und verwöhnte Menschen, die sich über moralische und manchmal auch über juristische Gesetze hinwegsetzen. Einige seiner Bücher wie Unter Null oder American Psycho sind verfilmt worden. Ellis schreibt außerdem selbst Drehbücher für Filme und Videos, so beispielsweise für die Musikvideos Too Many Friends und Loud Like Love der Band Placebo.
Seit September 2013 sendet Ellis einstündige Podcasts. Deren Inhalt bilden zum einen Gespräche mit wechselnden prominenten Gästen (u.a. Kanye West, Gus Van Saint, John Densmore) über deren Arbeit und Leben sowie Ellis‘ Kommentare zu verschiedenen kulturellen Themen wie Literatur, Filme, Medien und Musik.

Publikationen

Romane und Kurzgeschichtensammlungen
• Unter Null, aus dem Amerikanischen von Sabine Hedinger, Kiepenheuer & Witsch 1999. (OT: Less Than Zero, Simon & Schuster 1985)
• Einfach unwiderstehlich, aus dem Amerikanischen von Wolfgang Determann, Kiepenheuer & Witsch 2001. (OT: The Rules of Attraction, Simon & Schuster 1987)
• American Psycho, aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Kiepenheuer & Witsch 1991. (OT: American Psycho, Vintage Books 1991)
• Die Informanten, aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler, Kiepenheuer & Witsch 1995. (OT: The Informers, Alfred A. Knopf 1994)
• Glamorama, aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka, Kiepenheuer & Witsch 2010. (OT: Glamorama, Alfred A. Knopf 1999)
• Lunar Park, aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Kiepenheuer & Witsch 2006. (OT: Lunar Par, Alfred A. Knopf 2005)
• Imperial Bedrooms, aus dem Amerikanischen von Sabine Hedinger, Kiepenheuer & Witsch 1999. (OT: Imperial Bedrooms, Alfred A. Knopf 2010)

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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