HAIE IN ZEITEN VON ERLÖSERN – Kawai Strong Washburn

Werbung. Herzlichen Dank an Luchterhand Verlag für das Rezensionsexemplar.

Wenn ich die Auge schließe, sind wir alle noch am Leben, es wird offenbar, was die Götter von uns wollen. Die Mythen, die die Leute über uns erzählen, mögen ja mit jenem türkisblauen Tag vor Kona und mit den Haien anfangen, aber ich weiß es besser.“ S. 9

So beginnt Kawais Strong Washburns Buch, Worte, die Malia an ihren Sohn richtet.

Die Geschichte ist so komplex, dass es mir schwerfällt, alles in nur wenige Sätze zu packen. Sie vereint vieles, eine sehr bewegende Familiengeschichte, eine große Portion Gesellschaftskritik, Einblicke in die Kultur, das Leben und die Mythen Hawaiis. Es wird aber weniger mythisch, als es zunächst scheint.

Durch den Niedergang der Zuckerrohrindustrie verliert Vater Augie seine Arbeit und muss mit Nebenjobs seine Familie über Wasser halten. Das reicht aber nicht, um die Familie vor dem finanziellen Ruin zu retten. Durch den fortschreitenden Tourismus auf den Inseln und dem täglichen Überlebenskampf entfernt sich Hawaii immer weiter von ihrer ursprünglichen Kultur, Wohlstand ist das Privileg weniger, die Familie Flores ein Beispiel Tausender, die am Rande der Gesellschaft und im Schatten der florierenden Metropole leben.

»Das Königreich Hawai’i war schon lange zerstört – der atmende Regenwald und die singenden grünen Riffe zermalmt vom Haole-Kommerz (Weiße) der Beach-Resorts und Wolkenkratzer -, und so lange schon rief das Land.« S. 9

Bevor die Familie aus ihrem Tal wegzieht, um Arbeit zu finden, unternimmt sie mit ihren drei Kindern einen Bootsausflug. Der damals 7-jährige Nainoa fällt dabei ins Meer, doch die Haie, die ihn umkreisen, bringen ihn wohlbehalten zum Boot zurück. Das scheint die große Wendung zu sein. Denn seit dem Tag besitzt Noa magische Kräfte und kann Krankheiten durch Handauflegen heilen. Eine Legende ist geboren und gleichzeitig eine Hoffnung, denn seine Gabe bringt zusätzliches Geld ein. Aber seine Gabe ist Segen und Fluch zugleich. Die Geschwister Kaui und Dean stehen im Schatten ihres Bruders. Das ursprüngliche Familiengefüge beginnt sich zu verschieben.
Um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, schicken sie sie zum Studium auf das amerikanische Festland.

Da ist ein Stück Strand, das in mitternachtsblaues Wasser abfällt, und ich gehe ins Wasser, lasse mich von der Strömung ins Tiefe tragen. Wellen Rollen herein, gegen meine Schultern, schaukeln meinen fröstelnden Oberkörper, das Wasser unter mir ist klar und sauber. Der Sog hierherzukommen, ins Wasser zu gehen, war stark, der Ruf wie eine Art Gravitation, es dauert nicht lange, bis ich erkenne, was auf mich gewartet hat.

Wir erleben die großartige Geschichte aus den einzelnen Perspektiven der Familienmitglieder. Jeder versucht auf seine Weise, mit Noas Gabe umzugehen und seinen Weg zu finden. Es dauert, bis auch Kaui und Dean ihre Talente erkennen. Verstreut in verschiedenen Städten sind sie allerdings immer Fremde, die Sehnsucht nach der Heimat bleibt, aber auch die Suche nach der eigenen Identität, ihren indigenen Wurzeln.

Jeder der Charaktere hat eine unverkennbare Stimme, jeder ist vielschichtig und authentisch. Kawei Strong Washburn schaffte es, mir sein Land zu zeigen, von dem ich nur wenig wusste. Denn Hawaii ist viel mehr als nur Traumstrände und Postkartenmotive.
Die tiefgründige Familiengeschichte ist vielschichtig und berührend. Sie bringt die Sehnsucht der Hawaiianer nach ihrer Ursprünglichkeit zum Ausdruck.
Ich bin durch den Roman wie auf einer Welle geritten. Hin und her gerissen zwischen den Charakteren, die gefangen sind zwischen zwei Welten. Wie die Geschwister an sich selbst und an Nainoas Gabe zerbrechen, und sich am Ende wieder aufrichten. Kritisch schildert er die soziale Realität, die Armut und Perspektivlosigkeit der Menschen in seiner Heimat. Ein Paradies, das vor dem touristischen Ausverkauf steht.
Doch er zeichnet auch ein Bild der Hoffnung und Rückbesinnung zur Natur. Mit seinem Debüt hat er einen starken Eindruck bei mir hinterlassen, der wohl noch eine Weile nachhallen wird.

Klappentext

Ein starker, außergewöhnlicher Roman, der die Legenden über die Götter von Hawaii mit einer aufrüttelnden Familiengeschichte verbindet.

Nainoa ist sieben Jahre alt, als er von einem Ausflugsboot in den Pazifik fällt und bald von mehreren Haien umkreist wird. Alle befürchten das Schlimmste, doch der größte Hai trägt ihn sanft im offenen Maul zu seiner Mutter zurück – eine Legende ist geboren. Nainoas Familie gehört nicht zu den Reichen auf Hawaii, und als die Zuckerrohrindustrie zusammenbricht, haben sie mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Was sie als Gunstbeweis der alten hawaiianischen Götter gedeutet haben, weicht mit der Zeit der harschen Realität, alle drei Kinder gehen aufs amerikanische Festland, um ihren Weg zu machen, aber die Sehnsucht nach ihrer Heimat und auch die magischen Kräfte, die sie dorthin zurückziehen, sind stärker … Ein außergewöhnlicher Roman, der die Legenden über die Götter von Hawaii mit einer aufrüttelnden Familiengeschichte verbindet.

Über den Autor

Kaiwai Strong Washburn ist an der Hamakua-Küste von Big Island, Hawaii geboren und aufgewachsen. Er studierte Makroökonomie an der Columbia University in New York City, bevor er zur Literatur wechselte und Schriftsteller wurde. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen Töchtern in Minneapolis. »Haie in Zeiten von Erlösern« ist sein erster Roman, für den er u. a. mit dem PEN/Hemingway Award ausgezeichnet wurde.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-630-87705-1
Verlag: Luchterhand Verlag
Erscheinungsjahr: 17. August 2022
Übersetzung: Cornelia Holfelder-von der Tann
Seiten: 448, Hardcover

Pressestimmen

„Dieser leidenschaftliche Schriftsteller gibt alles dafür, dass wir Hawaii als Ganzes sehen: seine stolzen Ahnen und Götter und Geister, aber auch die in Auflösung begriffenen Familien und die Hoffnungslosigkeit und Armut. Und Rätsel und Schönheit an jeder Ecke.“ New York Times

„Dieses Buch hat meine Sicht auf die Welt verändert.“ The Gardian

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger