VERLORENES VERNÈGUES – Cay Rademacher

Müssen wir Angst haben, dass die Wölfe zurück in unserem Land sind?

Denn das ist das Thema in Rademachers Krimi. Die Rückkehr der Wölfe in der Provence löst unterschiedliche Reaktionen in den Menschen aus, die in der Nähe der verlassenen Stadt Vieux Vernègues leben, die einst von einem Erdbeben schwer getroffen und vernichtet wurde. In einer kalten Januarnacht wird Capitaine Roger Blanc in die Ruinenstadt gerufen, weil Wölfe etliche Schafe gerissen haben, was eigentlich nicht Aufgabe der Gendarmerie ist. Doch die Lage spitzt sich zu, als Jäger, Schäfer und selbst der Bürgermeister zu den Waffen greifen. Aber nicht nur die Wölfe sind in Gefahr.

Ein sehr aktuelles Thema, das Rademacher da aufgreift. Überall werden die Diskussionen über den Umgang mit den zurückgekehrten Wölfen lauter. Wie geht man mit dem »Problem« um? Interessant finde ich mal wieder die Figurenkonstellation, jeder nimmt eine andere Haltung zu dem Thema ein, die durchaus verständlich und oft berechtigt ist. Auch Blanc kann die Schäfer verstehen, die zwar eine stattliche Entschädigung für jedes gerissene Schaf bekommen, aber letztlich Angst um ihre Lebensgrundlage habe. Auch die Menschen in den umliegenden Orten haben Angst vor einem Übergriff. Förster und Naturschützer hingegen plädieren für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Wölfen und sehen keine Bedrohung in ihnen. Oder sollte man doch eine staatlich regulierte Abschussquote einführen? Aber solche Problem rufen auch Spinner auf den Plan, die sich die Unsicherheit der Menschen zunutze machen. Und für schießwütige Jäger ist es ohnehin ein gefundenes Fressen. Was aber eine Seismologin und einen Ufo-Forscher in die Gegend treibt, müsst ihr selbst herausfinden.

Wie immer beleuchtet Rademacher die Thematik von allen Seiten und baut geschickt die Geschichte und Geografie der Provence ein. Blancs Team ist mit der Zeit zusammengewachsen, man verlässt sich blind aufeinander. In Fabienne Soulards Ehe kriselt es zum ersten Mal, Marius Tonnon hat mit Alkohol nichts mehr am Hut, na ja und Blancs Liebesleben ist mal wieder auf dem Tiefpunkt. Dafür wird seine alte Ölmühle, in der er lebt, immer wohnlicher – dank seiner Nachbarin Pauline.

Wer natürlich Spannung zum Bersten sucht und Nervenkitzel pur, ist hier falsch. Wie in jedem Kriminalroman gibt es auch hier viel Geschichte drumherum, auf die man sich einlassen muss. Neben Martin Walker und Andrea Camilleri ist Rademacher für mich der lesenswerteste Krimiautor in den letzten Jahren geworden. Man spürt in jedem seiner Bücher die Liebe zu seiner Wahlheimat und das Interesse an den aktuellen Themen der Zeit. Deshalb gibt es eine klare Leseempfehlung von für alle Krimifans.

Übrigens:
Im Jahr 2021 wurden in Deutschland insgesamt 975 Angriffe von Wölfen mit 3374 verletzten, vermissten oder getöteten Nutztieren gemeldet. Im Vorjahr waren es 942 Attacken.

Klappentext

Ein Rudel Wölfe in einer Geisterstadt mitten in der Provence – ein ungewöhnlicher und dramatischer neuer Fall für Capitaine Roger Blanc

Anfang Januar in der Provence. Schnee fällt, und die Tage verlaufen ruhig für die Gendarmen, denn in der Kälte scheint selbst das Verbrechen erstarrt zu sein. Mitten in der Nacht werden Capitaine Blanc und Lieutenant Tonon jedoch zu einem rätselhaften Einsatz in eine Geisterstadt gerufen. Vieux Vernègues ist ein mittelalterlicher Ort, der eine Idylle wie aus dem Bilderbuch sein könnte, hätte nicht ein Erdbeben ihn vor gut hundert Jahren zerstört. Jetzt ist es ein verlassenes Trümmerfeld im Schatten einer düsteren Burgruine. Alarmiert wurde die Gendarmerie von zwei alten Schafhirten. Zwölf Tiere ihrer Herde wurden in weniger als einer Stunde getötet – von Wölfen.
Schnell spricht sich herum, dass ein Wolfsrudel die Gegend unsicher macht. Diese Tiere stehen unter Naturschutz, doch die Angst ist stärker: Schäfer, Jäger und sogar der Bürgermeister scheren sich nicht um die Gesetze und greifen zu den Waffen. Blanc und seine Kollegen merken zudem bald, dass noch weitere Gestalten nachts durch die Wälder streifen und seltsame Dinge tun. Jeder misstraut jedem, und alle fürchten den Wolf – eine explosive Lage, die schließlich außer Kontrolle gerät. Denn tatsächlich wird bald ein Toter zwischen den Ruinen
gefunden …

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-8321-6578-9
Verlag: Dumont Verlag
Erscheinungsjahr: 17. Mai 2021
Seiten: 384, Klappenbroschur

Über den Autor

CAY RADEMACHER, geboren 1965, ist freier Journalist und Autor.
Nachdem er Geschichte und Philosophie in Köln und Washington studierte, arbeitete er für viele Jahre als freier Journalist für Magazine und Zeitschriften wie GEO, Merian, Die Zeit oder das SZ-Magazin. Stößt er bei seinen Recherchen auf spannende geschichtliche Ereignisse, vertieft er sich in seine zweite Leidenschaft: das Schreiben von historischen Sachbüchern und Romanen. Cay Rademacher hat ein starkes Interesse für Geschichte und Kultur, sodass er außerdem Reiseführer über Köln, Washington oder Frankreich veröffentlichte. Mittlerweile hat es den Journalisten und Schriftsteller aus dem Norden Deutschlands in die Provence verschlagen, wo er nun gemeinsam mit seiner Familie bei Salon-de-Provence in einer alten Ölmühle wohnt.

Provence-Krimis mit Capitaine Roger Blanc in der richtigen Reihenfolge:

  1. Mörderischer Mistral (2014)
  2. Tödliche Camargue (2015)
  3. Brennender Midi (2016)
  4. Gefährliche Côte Bleue (2017)
  5. Dunkles Arles (2018)
  6. Verhängnisvolles Calès (2019)
  7. Verlorenes Vernègues (2021)
  8. Schweigendes Les Baux (2021)
  9. Geheimnisvolle Garrigue (2022)
  10. Stille Sainte-Victoire (2023)

Weitere Werke

Der Trümmermörder (2011)
Der Schieber (2012)
Der Fälscher (2013).
Ein letzter Sommer in Méjean (2019)
Stille Nacht in der Provence (2020)
Die Passage nach Maskat (2022).

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

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