EIN GRUNDZUFRIEDENER MANN – Richard Russo

Werbung, danke an Dumont Buchverlag für dasRezensionsexemplar.

Es ist der erste Band (›Nobody’s Fool‹), der 1984 in North Bath spielt und ich empfehle, die Bücher in der richtigen Reihenfolge zu lesen, da wir einigen Figuren in ›Ein Mann der Tat‹ (›Everbodys Fool‹) wieder begegnen.

Es ist die Geschichte des 60-jährigen Donald Sullivans, genannt Sully, der vielleicht nicht der Schlauste, aber einer der gewieftesten Einwohner North Baths ist. Eine heruntergekommene Stadt, in der nur die verfallenen Fassaden imposanter Häuser von glorreichen Zeiten zeugen, Menschen, die sich am letzten Fünkchen Hoffnung und leeren Versprechungen festklammern, während Nachbarstädte längst den amerikanischen Traum leben.
Im Gegensatz zu anderen hat sich Sully mit dem Leben in der abgehängten Kleinstadt arrangiert und ist – mal mehr mal weniger – zufrieden, so wie es ist. Er haut die übers Ohr, die es verdient haben, und hilft denen, die es nötig haben. Man könnte sagen, er wurschtelt sich so durch. Auch wenn er hätte mehr aus seinem Leben machen können, wie Miss Beryl, seine ehemalige Lehrerin und jetztige Vermieterin, nicht müde wird zu erwähnen. Nach einem Arbeitsunfall hat Sully ein schmerzendes Knie, ist kaum arbeitsfähig und hofft auf eine Frührente. Doch dafür müsste er die Schulbank drücken, was so gar nicht in seinem Sinne ist und auch nicht gut für seinen ständig leeren Geldbeutel. Also schmeißt er hin und jobbt schwarz für Carl Roebuck, der ihm noch Geld schuldet für die früheren Jobs. Aber Sully nimmt sich, was ihm zusteht – nicht immer auf legalem Weg. Da fällt es ihm schwer, ausgerechnet für Will, seinen Enkel, ein gutes Vorbild zu sein. Denn er bereut es inzwischen, seinem Sohn kein besserer Vater gewesen zu sein, und gedenkt nun, es bei Will besser zu machen. Wird es wieder nur ein guter Vorsatz bleiben, wie so viele andere?

»Sein ganzes Leben lang war Sully der Prototyp eines Menschen, der mit seinen Leistungen hinter den Erwartungen zurückblieb; die Leute sagten von ihm, er spiele für niemanden den Dummkopf, ein Spruch, der Sully zweifellos gefiel, ohne dass er den zugrundeliegenden Sinn erahnt hätte – dass er mit sechzig von seiner Frau geschieden war, halbherzig eine Affäre mit der Frau eines anderen weiterführte, seinem Sohn entfremdet und schlimm verletzt war und praktisch nicht mehr arbeiten konnte. All das verwechselte Sully störrisch mit Freiheit und Unabhängigkeit.« S.40

Wie immer sind es Geschichten, die das Leben schreibt, die Außenseiter in den Mittelpunkt stellen, tragische Helden, die auf der Strecke bleiben, für die der amerikanische Traum nur die Möhre vor der Nase des Esels ist. Russo gibt ihnen auf unspektakuläre Weise und mit viel hintersinnigen Humor ein Gesicht und zeichnet fast minutiös ihren Alltag nach.
Er verzichtet auf große Dramen und Action, macht aber im Kleinen deutlich, wo die Probleme sind. Und es sind so viele, dass es unmöglich ist, sie alle anzureißen. Letztlich sind es die Fesseln der Gesellschaft, in denen sie alle feststecken, sich aufbäumen, scheitern und einen neuen Versuch starten.
Nach den 777 Seiten musste ich tatsächlich erstmal durchatmen. Diesmal hat er doch einige Längen gehabt, zu viele detaillierte Nebenschauplätze und Figuren, die es in der Ausführlichkeit nicht gebraucht hätte. Ab dem 2. Teil strafft sich allerdings die Handlung wieder.
Nun ja, es ist halt wie ein Kurzurlaub in North Bath – es passiert nichts Spektakuläres, während die Zeit dahin tröpfelt, aber man hat vielen Menschen tief in die Seele geschaut. Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind.
Die knuffige, alte Dame Miss Beryl, die ihrem Sohn misstraut, aber den Außenseiter Sully ins Herz geschlossen hat. Sullys Geliebte Ruth, die es nicht leicht hat mit ihm. Sein Hilfsarbeiter Rub, der Stinker, dem ein paar Lichter auf der Torte fehlen. Carl, Geizhals und Schürzenjäger, Wirf, der beste einbeinige Anwalt – sie alle werden mir fehlen. Ach was solls, die Längen sind längst vergessen.

Btw. Falls jemanden sich wundert, warum auf dem Cover ein Rasenmäher ist (was ich auch nicht ganz verstehe) und ich eine Schneefräse im Bild habe – nun ja, die Schneefräse ist quasi der Runniggag in der Geschichte, lasst euch überraschen.

Klappentext

»Ein faszinierender Roman voll schräger Typen« JOHN IRVING
North Bath, Upstate New York, Mitte der Achtziger: Donald Sullivan, von allen nur Sully genannt, führt ein bequemes Leben in der verschlafenen Kleinstadt. Obwohl er geschieden ist, sein kaputtes Knie ihm immer wieder Ärger macht und er seit Langem eine geheime Affäre mit einer verheirateten Frau hat, ist er mit seinem Leben zufrieden. Schon immer hat er sich gründlich vor jeder Verantwortung gedrückt – ob als Ehemann, als Vater oder als Untermieter seiner ehemaligen Highschool-Lehrerin. Jetzt holt ihn der Ernst des Lebens ein: Denn nicht nur sein Enkel, der aus einer zerstrittenen Familie flieht, braucht auf einmal seine Hilfe.
Mit leiser Ironie und viel Verständnis für die Verrücktheiten seiner kauzigen Figuren erzählt Richard Russo vom Amerika der kleinen Leute.
›Ein grundzufriedener Mann‹ ist die Neuausgabe eines Klassikers: Mit diesem Buch, das unter dem Originaltitel ›Nobody‘s Fool‹ mit Paul Newman verfilmt worden ist, etablierte sich Richard Russo in der ersten Riege amerikanischer Romanciers. Jetzt liegt das Werk erstmals in vollständiger deutscher Übersetzung vor.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-8321-6405-8
Verlag: Dumont Buchverlag
Erscheinungsjahr: 19. Juni 2017
Übersetzung: Barbara Först
Seiten: 780, Paperback

Über den Autor

Kauzige Kleinstädter und Pechvögel: Es ist der Alltag in US-amerikanischen Kleinstädten, der es Richard Russo angetan hat. Dabei schreibt kaum jemand so brillant darüber wie der 1949 in Johnstown, New York, geborene Autor.
Zunächst studierte Russo jedoch an der University of Arizona Literaturwissenschaften und Creative Writing und promovierte in Philosophie. Danach lehrte er an Universitäten. Dem Schreiben widmete er sich zu dieser zeit nur nebenbei.
Erst nach der erfolgreichen Verfilmung seines Romans „Nobody’s Fool“ (1993; deutsch: „Ein grundzufriedener Mann“, 2017) mit Paul Newman und Bruce Willis in den Hauptrollen ließ er sich als freier Schriftsteller nieder. Für „Empire Falls“ (2002; deutsch: „Diese gottverdammten Träume“, 2016) erhielt er den Pulitzer-Preis. Eine Emmy-Nominierung gab es für das gleichnamige Fernsehdrehbuch.
Es folgten der Indie Champion Award der American Booksellers Association sowie der französische Grand Prix de Littérature Américaine. In den USA ein großer Erfolg, wurden Russos Romane erst später ins Deutsche übersetzt.
Mit seinen detailreichen und humorvollen Porträts kauziger Kleinstadtbewohner an der amerikanischen Ostküste begeistert er nun auch hierzulande mehr und mehr Leser.
Heute lebt der Autor zusammen mit seiner Familie in dem Küstenstädtchen Camden in Maine. (Quelle: Lovelybooks)

Werke

Diese alte Sehnsucht (That Old Cape Magic) 2010
Diese gottverdammten Träume (Empire Falls) 2016
Ein Mann der Tat (Everybody’s Fool) 2017
Immergleiche Wege (Trajectory) 2018
Mohawk (Mohawk)2023
Sh*tshow (Sh*tshow) 2020
Jenseits der Erwartungen (Chances Are…) 2020
Mittelalte Männer (Straight Man) 2021

Avatar-Foto
Über ein.lesewesen 314 Artikel
Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*