KRAWALL UND KEKSE – Shirley Jackson

Werbung. Herzlichen Dank an Arche Literatur Verlag für das Rezensionsexemplar.

Kennt ihr das? Da kommt ein Buch gerade zur rechten Zeit, draußen macht sich der Herbstblues breit und nach einigen schweren Büchern flatter endlich etwas mit Humor in euren Briefkasten. Mir ging es so mit KRAWALL UND KEKSE.

Als der Verlag mich ansprach, ob ich das Buch vorstellen möchte, habe ich spontan zugesagt, ohne zu wissen, worum es geht. Weil das Cover ist doch einmalig oder? Und jetzt kann ich euch auch sagen, dass ihr genau das bekommt, was darauf zu sehen ist. Eine Menge Humor.

Schon die Eingangsszene hatte mich voll im Griff. Nach der Kündigung durch den Vermieter muss sich die Familie für ihre bis dahin 2 Kinder und knapp 5000 Bücher eine neue Bleibe suchen. Was sie zum Kauf angeboten bekommen, ist so grotesk, dass ich mich an meine Wohnungsbesichtigungen in Hamburg erinnern musste. In dem einen Haus gab es keine Wasserleitungen, im nächsten keine Heizung, das darauffolgende hatte kein Schlafzimmer. Schon leicht traumatisiert von der Dreistigkeit der Makler finden sie endlich eins, das zwar einem Labyrinth aus Anbauten glich, aber zumindest über oben genannte Grundausstattungen verfügte.

»Das Fielding-Haus? … Was wollt ihr denn mit dem?«
»Na ja«, sagte unsere Gastgeberin, »es ist ungefähr tausend Jahre alt.«
»Eher eine Million Jahre«, sagte unser Gastgeber. »Es ist …«, er machte eine hilflose Geste. »Es hat so riesige weiße Säulen vor der Fassade«, sagte er.
»Und ist hinter den Säulen ein Haus?«, fragte mein Mann. »Denn wenn es Rohre hat und einen Ofen und ein Schlafzimmer, und die vermieten uns das, dann ziehen wir ein.«

Was folgt, ist der normale alltägliche Wahnsinn, von dem früher wie heute alle Mütter ein Lied singen können. Laurie, ihr ältester Sohn, erfindet einen aufmüpfigen Klassenkameraden, dem er seine eigenen Streiche anhängt. Jannie hat gleich eine ganze Reihe imaginärer »Kinder« und Sally, die Jüngste, plappert in ihrer ganz eigenen Sprache.

Im Mittelpunkt steht eine liebevolle, nahbare Mutter, die sich von dem täglichen Chaos nicht unterkriegen lässt, vieles mit Humor nimmt und manchmal gedanklich abwesend ist. Der aus der Ich-Perspektive geschriebene Alltag einer amerikanischen Durchschnittsfamilie erinnert mit all seinen Pointen an die Mütter von heute, die es schaffen, einen Spagat zwischen Kindererziehung und Ehe, Tumult und Gemütlichkeit zu schaffen. Da geraten akribisch geplante Einkaufstouren schnell mal zu einem Abenteuer, das in dem Vorsatz gipfelt, die Kinder nie wieder mitzunehmen, weil einfach alles aus dem Ruder läuft. Oder, dass die Hausfrau sich mit der passenden Größe von Moccatassen auseinandersetzen muss, unter Berücksichtigung der Vorlieben aller Freundinnen, die letztlich sowieso an allem was auszusetzen haben. Unzählige Alltagsszenen werden auf eine pragmatische Weise von der Mutter erzählt, die aber urkomisch beim Leser ankommen.

Auch wenn das Buch bereits in den 1940ern und 50ern als einzelne Episoden in Zeitschriften erschien, kommt es nicht angestaubt daher. Dank der Übersetzung von Nicole Seifert ist die Sprache frisch und modern und lässt sich in einem Rutsch weglesen.

1953 wurden die Geschichten zusammengefasst und erweitert und erschienen in einem Roman. Shirley Jackson kennen wir eigentlich als Autorin von Horrorromanen wie »Spuk in Hill House«. Mit diesen Geschichten hielt sie sich finanziell den Rücken frei, um sich in Ruhe dem »richtigen Schreiben« widmen zu können. Sie zeichnet hier das Ideal einer typischen Frau in der damaligen Zeit, die ihre Bestimmung als Hausfrau und Mutter finden sollte. Ganz im Gegensatz zu ihrem eigentlichen Leben, denn durch ihre Arbeit verdiente sie meist mehr als ihr Mann. Die Mutter in ihrem Roman hingegen hat keine eigenen Interessen oder kritischen Gedanken und stellt alles dem Wohl der Familie hintenan. Deshalb sind die Geschichten fiktional und nicht autobiografisch zu sehen, auch wenn sie in Details so oder ähnlich stattgefunden haben.
Aufgewertet wird das Buch durch ein ausführliches Nachwort, in dem auf das Leben der Autorin und ihr Werk eingegangen wird.

Von mir eine ganz, ganz große Empfehlung, ich habe selten so gelacht und mich an manche eigenen Familienszenen erinnert gefühlt.
Ich bedanke mich beim Arche Verlag für das Rezensionsexemplar und die wundervollen Lesestunden, die mir das Buch bereitet hat. Ich wünsche dem Buch viel Erfolg, dass auch der zweite Teil übersetzt wird und ich weiter so herzhaft lachen kann.

Klappentext

Die große Wiederentdeckung: Shirley Jacksons Bestseller über ihr turbulentes Familienleben.

Neben ihrem Talent für das Schaurige war die große amerikanische Autorin Shirley Jackson bekannt für die absurd-komische Betrachtung ihres Lebens als Ehefrau und Mutter von vier Kindern in einem baufälligen Herrenhaus in Vermont. In ›Krawall und Kekse‹, das erstmals 1953 erschien, hadert sie mit liegenbleibenden Autos, Haushaltshilfen, die nicht wiederkommen, und einem selbstvergessenen Ehemann, der mit seinen Nachkommen erst etwas zu tun haben will, wenn sie lesen und schreiben können. Auch die altklugen Kinder tanzen ihr auf der Nase herum: Sohn Laurie erfindet einen aufmüpfigen Klassenkameraden, dem er seine eigenen Streiche anhängt. Tochter Jannie geht nirgends ohne ihre Puppen-Entourage hin, Baby Sally isst eine Spinne und grinst triumphierend.
Dieses Buch ist ein zeitloses Lesevergnügen, das unterschwellig damalige wie gegenwärtige Rollenverhältnisse aufs Korn nimmt. So berührt es alle, die in Mehrfachrollen stecken und die Herausforderungen der sogenannten Work-Life-Balance kennen.

Über die Autorin

Shirley Jackson, 1916 in San Francisco geboren, arbeitete nach dem Studium für den ›New Yorker‹. Die 1948 dort erschienene Kurzgeschichte ›The Lottery‹ machte sie schlagartig berühmt, ihr erster Roman ›The Road Through the Wall‹ erschien im selben Jahr. Jacksons Werk wird vor allem dem Horrorgenre zugerechnet, zu den bekanntesten Büchern zählen die mehrfach verfilmten Romane ›Spuk in Hill House‹ und ›Wir haben schon immer im Schloss gelebt‹. Zu Lebzeiten war Shirley Jackson auch als Chronistin ihres Familienlebens bekannt. ›Krawall und Kekse‹ erschien 1953 in den USA und wurde ein landesweiter Bestseller. Die deutsche Ausgabe offenbart nicht nur Jacksons großes Erzähltalent, sie rückt nun auch hierzulande die beeindruckende Person Shirley Jackson in den Fokus – eine Frau, die entgegen den Widerständen ihrer Zeit in den Rollen als Mutter von vier Kindern, Ehefrau und zugleich als Autorin von 17 Büchern brillierte. Auf die Frage, wie sie das geschafft habe, sagte sie in einem Interview einmal: »Das frage ich mich auch.« Shirley Jackson starb 1965 im Alter von 48 Jahren.

Bibliografische Angaben

ISBN: 978-3-7160-2816-9
Verlag: Arche Literatur Verlag
Erscheinungsjahr: 21. September 2022
Übersetzung: Nicole Seifert
Seiten: 256, Hardcover

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Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen. Hans Derendinger